BSG: Keine Herabsetzung einer Verletztenrente wegen neuer prothetischer Versorgung eines Unfallverletzten

Eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung kann nicht allein deshalb herabgesetzt werden, weil der durch den Arbeitsunfall Verletzte eine neue mikroprozessorgesteuerte Beinprothese erhalten hat. In der gesetzlichen Unfallversicherung werden die dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls unter anderem mit einer Verletztenrente ausgeglichen. Die Höhe der Verletztenrente ergibt sich aus den Berechnungsfaktoren Jahresarbeitsverdienst und Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Die MdE wird in der Praxis von medizinischen Sachverständigen anhand sogenannter MdE‑Tabellen eingeschätzt. Der 2. Senat des BSG hat am 20. 12. 2016 entschieden, dass die von dem LSG herangezogene MdE‑Tabelle, die aktuell keine Differenzierung nach der Qualität der jeweiligen Oberschenkelprothese vornimmt, nicht zu beanstanden ist.

Tatbestand:

Der Kl. erlitt als Schüler im Jahr 1998 einen Unfall, der zur Amputation des linken Beins im Bereich des Oberschenkels führte. Er wurde von dem Unfallversicherungsträger mit einer Prothese versorgt. Dieser bewilligte zunächst eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 vom Hundert. Im März 2006 erhielt der Kl. anstelle der bisherigen Prothese eine mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese (sogenanntes C‑Leg). Der bekl. Unfallversicherungsträger hob daraufhin den ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse teilweise auf und gewährte nur noch eine geringere Verletztenrente nach einer MdE von 60 vom Hundert. Durch die Versorgung mit der C‑Leg‑Prothese sei eine deutliche Funktionsverbesserung des linken Beins eingetreten. In den Vorinstanzen war der Kl. erfolgreich.

Aus den Gründen:

Der 2. Senat des BSG hat die Revision des bekl. Unfallversicherungsträgers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente lagen nicht vor, weil durch die Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese keine wesentliche, zu einer niedrigeren Rente führende Änderung eingetreten ist. Grundsätzlich ist das BSG als Revisionsgericht bei der Überprüfung der MdE‑Höhe an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden. Die Prothese bewirkt aber nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG gerade keine entscheidende Verbesserung der Erwerbsfähigkeit. Das BSG hätte deshalb aus eigener Kompetenz nur dann eine geringere MdE zugrunde legen können, wenn es zu der Überzeugung gelangt wäre, die als medizinische Erfahrungssätze herangezogenen MdE‑Tabellenwerte seien wissenschaftlich nicht mehr haltbar bzw. entsprächen nicht dem aktuellen Erkenntnisstand.

Die vom LSG berücksichtigte MdE‑Tabelle sieht für einen Verlust des Oberschenkels im mittleren und unteren Drittel den Wert von 60 vom Hundert vor. Eine generelle Änderung dieses Tabellenwertes ist bisher nicht erfolgt. Nach der wohl überwiegenden Auffassung der unfallmedizinischen Literatur ist vielmehr nicht zusätzlich nach der Qualität der Prothese zu differenzieren. Zwar gibt es in der medizinischen Literatur eine Diskussion, nach der die MdE-Tabellenwerte bei besserer prothetischer Versorgung niedriger anzusetzen sind. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der aktuell geltende MdE‑Tabellenwert als wissenschaftlich unhaltbar von der Rechtsprechung zu korrigieren wäre.

BSG, Urteil vom 20. 12. 2016 (B 2 U 11/15 R)

Pressemitteilung des BSG Nr. 28 vom 20. 12. 2016