Der III. Zivilsenat des BGH hat heute entschieden, dass Eigentümer von baumbestandenen Grundstücken nur unter besonderen Umständen für Rückstauschäden haften, die durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle entstehen. Er hat das vorangegangene Urteil des OLG Braunschweig aufgehoben und die Sache das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Das Kl. ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks, das an die städtische Schmutz- und Regenwasserkanalisation angeschlossen ist und an einen im Eigentum der bekl. Gemeinde stehenden Wendeplatz grenzt, auf dem ein Kastanienbaum angepflanzt ist. Nach der Abwasserbeseitigungssatzung der Bekl. hat sich jeder Anschlussnehmer gegen Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen bis zur Rückstauebene selbst zu schützen. Das Anwesen der Kl. verfügt nicht über eine solche Rückstausicherung. In der Nacht vom 5. auf den 6.7.2012 fiel starker Regen. Die Regenwasserkanalisation konnte die anfallenden Wassermassen nicht mehr ableiten, weil Wurzeln der auf dem Wendeplatz befindlichen Kastanie in den Kanal eingewachsen waren und dessen Leistungsfähigkeit stark einschränkten. Deshalb kam es zu einem Rückstau im öffentlichen Kanalsystem und auf dem Grundstück der Kl. zum Austritt von Wasser aus einem unterhalb der Rückstauebene gelegenen Bodenlauf in den Keller.
Die Kl. machte geltend, durch den Rückstau des Wassers und die in dessen Folge eingetretene Überschwemmung in ihrem Keller sei ihr ein Schaden von 30.376,72 Euro entstanden, auf den sie sich allerdings wegen eigenen Mitverschuldens im Hinblick auf das Fehlen einer Rückstausicherung ein Drittel anrechnen lasse, sodass sie einen Betrag von 20.251,14 Euro verlangen könne.
Prozessverlauf:
Das LG hat die Bekl. unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 15.315,06 Euro nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG die Klage insgesamt abgewiesen. Es hat gemeint, Schadensersatzansprüche gegen die Bekl. als Betreiberin des Kanals seien wegen der fehlenden Rückstausicherung ausgeschlossen. Als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich die Kastanie befinde, falle ihr eine Verkehrssicherungspflichtverletzung im Hinblick auf den Kanal nicht zur Last, weil es keine konkreten Anhaltspunkte für das Eindringen von Baumwurzeln in die Kanalisation gegeben habe.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Kl. ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der u.a. für das Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat hat die Sache an das OLG zurückverwiesen. Er hat entschieden, dass Verkehrssicherungspflichten des Eigentümers eines baumbestandenen Grundstücks wegen der Verwurzelung eines Abwassersystems zwar nicht von vornherein ausgeschlossen sind, jedoch nur unter besonderen Umständen in Betracht kommen.
Es hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang bzw. mit welcher Kontrolldichte ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Dabei sind zunächst die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu dem Abwassersystem sowie Art bzw. Gattung, Alter und Wurzelsystem (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums zu berücksichtigen. Welcher Art die Kontrollpflichten sind, hängt von der Zumutbarkeit für den Grundstückseigentümer im Einzelfall ab. Dabei muss er regelmäßig nicht den Kanal selbst überprüfen, zu dem er zumeist keinen Zugang hat.
Im konkreten Fall hatte die Bekl. als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks und zugleich als Betreiberin des öffentlichen Abwassersystems jedoch den unmittelbaren Zugang zum gesamten ober- und unterirdischen von dem Kastanienbaum ausgehenden Gefahrenbereich. Soweit im Rahmen ohnehin gebotener Inspektionen des Kanals die Einwurzelungen erkennbar gewesen wären, hätte sie als Grundstückseigentümerin die Pflicht gehabt, diese rechtzeitig zu beseitigen.
Zu den vorstehenden Voraussetzungen muss das Berufungsgericht Feststellungen nachholen.
Eine Haftung wegen einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung der Bekl. wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von der Kl. gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Die aus der Satzung folgende Obliegenheit von Grundstückseigentümern, selbst für eine Sicherung gegen Rückstauschäden zu sorgen, gilt nur im Verhältnis zum Kanalbetreiber. Die bekl. Stadt haftet im Streitfall jedoch nicht in dieser Funktion, sondern als Eigentümerin des Baumgrundstücks. Es kommt daher nur eine Kürzung des etwaigen Schadensersatzanspruchs wegen Mitverschuldens der Kl. gem. § 254 Abs. 1 BGB in Betracht.
BGH, Urteil vom 24.8.2017 (III ZR 574/16)
(Pressemitteilung des BGH Nr. 132 vom 24.8.2017)