Eine Stolperkante vor einem Lebensmittelmarkt und eine nasse Tanzfläche in einer Diskothek – zwei Beispiele für Verkehrssicherungspflichtverletzungen in der Rechtsprechung des 9. Zivilsenats des OLG Hamm.
Geschäftsinhaber haftet für 3 cm hohe Stolperkante vor Lebensmittelmarkt (9 U 158/15):
An einem Nachmittag im Mai 2013 stürzte der seinerzeit 62 Jahre alte Kl. aus F. im Außenbereich des von der bekl. Gesellschaft in der E.-Straße in H. betriebenen Lebensmittelmarkts. Hierzu behauptet der Kl. er sei über eine 3 cm hohe Unebenheit der Gehwegplatten zu Fall gekommen und habe sich den komplizierten Bruch seines linken Oberarms zugezogen.
Die auf Zahlung von Schadensersatz, u. a. eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500 Euro gerichtete Klage des Kl. ist in erster Instanz erfolglos geblieben. Nach Ansicht des LG Hagen konnte der Kl. eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Bekl. nicht nachweisen. Er habe nicht bewiesen, dass er an einer Kante hängen geblieben sei, die zum angrenzenden Belag einen Höhenunterschied von mehr als 2,5 cm gehabt habe, so das LG.
Die Berufung des Kl. war teilweise erfolgreich. Mit Urteil vom 13.9.2016 hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm eine Haftung der Bekl. unter Berücksichtigung eines 50%igen Mitverschuldens des Kl. angenommen und das Verfahren zur Klärung des Schmerzensgeldbetrags an das LG zurückverwiesen.
Die Bekl. habe ihre Verkehrssicherungspflicht, so der Senat, verletzt. Sie habe auch in dem ihrem Ladenlokal vorgelagerten Bereich die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern. Die Verpflichtung erstrecke sich auf den Gehweg im Zugang zum Geschäftslokal. Die Verkehrsfläche müsse zwar nicht schlechthin gefahrlos und mangelfrei sein. Fußgänger hätten wie andere Verkehrsteilnehmer auch die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen, wie sie sich ihnen erkennbar zeigten und sich auf Unebenheiten als typische Gefahrenquellen einzustellen.
Auf dieser Grundlage entspreche es überwiegender Rechtsprechung, dass Unebenheiten eines Gehwegs bis zu einer Grenze von 2 bis 2,5 cm in der Regel hinzunehmen seien. Mit größeren Höhenunterschieden müsse ein Fußgänger demgegenüber nicht rechnen, sie begründeten eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle. Im Bereich, in dem der Kl. gestürzt sei, habe es Höhenunterschiede von bis zu 3 cm gegeben. Der Bereich habe daher eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dargestellt, sodass die Bekl. nachzuweisen habe, dass der Kl. über einen geringeren Höhenunterschied als 2,5 cm oder aus vom Belag unabhängigen Gründen zu Fall gekommen sei. Diesen Nachweis habe sie nicht geführt und deswegen für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung zu haften.
Allerdings treffe den Kl. ein hälftiges Eigenverschulden, weil er als Fußgänger nicht hinreichend auf die Unebenheiten im Gehwegbereich geachtet habe. Durch geschäftliche Auslagen seiner Umgebung sei er nicht abgelenkt worden. Bei hinreichender Aufmerksamkeit habe er den Sturz daher vermeiden können.
Betreiber haftet bei Sturz auf nasser Tanzfläche in der Disco (9 U 77/15):
In der Nacht zum 1.1.2009 hielt sich die Kl. aus B. in einer Diskothek auf, um dort mit Freunden Silvester zu feiern. In den frühen Morgenstunden kam sie auf der Tanzfläche zu Fall und zog sich eine tiefe Schnittverletzung an der rechten Hand zu, die notfallmäßig versorgt werden musste. Sie hat behauptet, an ihrer Hand seien Nerven und eine Hauptarterie durchtrennt worden. Infolge ihrer Verletzung habe sie erhebliche gesundheitliche, auch psychische Beeinträchtigungen erlitten, für die die bekl. Betreiberin der Diskothek und ihre Geschäftsführer zu haften hätten. Von diesen hat sie Schadensersatz verlangt, u. a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro. Die Bekl. haben demgegenüber behauptet, die Kl. sei alkoholisiert gewesen, habe ein Glas fallen lassen und sei dann unglücklicherweise in die Scherben ihres eigenen Glases gefallen.
Nach der Anhörung der Kl. und der Vernehmung von Zeugen hat das LG dem Schadensersatzbegehren dem Grunde nach stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung der Bekl. ist erfolglos geblieben. Der 9. Zivilsenat des OLG Hamm hat das LG-Grundurteil nach einer ergänzenden Beweisaufnahme bestätigt.
Zwischen den Parteien sei unstreitig, so der Senat, dass sich die Kl. bei einem Sturz auf der Tanzfläche eine gravierende Schnittverletzung an der rechten Hand zugezogen habe. Aufgrund der Zeugenaussagen und der Angaben der Kl. sei der Senat – ebenso wie das LG – davon überzeugt, dass sich die Flüssigkeit, auf der die Kl. ausgerutscht sei, als auch die Scherben, an den sie sich dann verletzt habe, bereits vor ihrem Sturz auf dem Boden befunden hätten und nicht etwa von einem von ihr selbst fallengelassenen Glas herrührten. Nach der von der Kl. nachgewiesenen objektiven Pflichtverletzung sei es den Bekl. nicht gelungen, sich dahin gehend zu entlasten, dass sie bzw. ihre Angestellten kein Verschulden an dem ordnungswidrigen Zustand der Tanzfläche getroffen hätte. Sie hätten weder ein Organisationsverschulden noch Mängel bei der Ausführung getroffener Organisationsanordnungen ausschließen können. Von dem Anscheinsbeweis, der dafür spreche, dass sich die Pflichtverletzung auch im Unfall ausgewirkt habe, hätten sich die Bekl. ebenfalls nicht entlastet. Ein Mitverschulden der Kl. am Unfallgeschehen hätten sie nicht beweisen können. Das begründe ihre volle Haftung, deren Umfang das LG im Betragsverfahren zu klären habe.
OLG Hamm, Urteile vom 13. 9. 2016 (9 U 158/15) und vom 5. 4. 2016 (9 U 77/15) – rechtskräftig –
Pressemitteilung des OLG Hamm vom 25. 1. 2017