Der Gerichtshof bestätigt die Abweisung der Nichtigkeitsklagen und weist die Schadensersatzklagen in Bezug auf die Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors in der Sache ab

Der Gerichtshof hebt zwar die Beschlüsse des Gerichts über die Schadensersatzklagen auf, weist diese Klagen aber dennoch ab, weil die Kommission nicht zu einer Verletzung des durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Eigentumsrechts der Personen, die diese Klagen erhoben haben, beigetragen hat

In den ersten Monaten des Jahres 2012 gerieten mehrere in Zypern ansässige Banken, darunter die  Cyprus  Popular  Bank  (Laïki)  und  die  Trapeza  Kyprou  Dimosia Etaireia  (Bank  of  Cyprus  oder BoC),   in   finanzielle   Schwierigkeiten.   Die   zyprische Regierung   bat   deshalb   die   aus   den Finanzministern  der  Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets  bestehende  Euro-Gruppe  um finanzielle  Unterstützung.  Die  Euro-Gruppe  antwortete  darauf,  dass  die  gewünschte finanzielle Unterstützung vom     ESM     (Europäischer     Stabilitätsmechanismus)     im     Rahmen     eines makroökonomischen  Anpassungsprogramms  gewährt  werde,  das  in  einem Memorandum  of Understanding (MoU) zu konkretisieren sei. Die Verhandlungen über dieses Protokoll wurden von der  Kommission  zusammen  mit  der  Europäischen  Zentralbank  (EZB)  und  dem  Internationalen Währungsfonds (IWF) auf der einen und den zyprischen Behörden auf der anderen Seite geführt. In einer Erklärung vom 25. 3. 2013 gab die Euro-Gruppe bekannt, dass die Verhandlungen zu einem  Entwurf  eines  MoU  über  die  Umstrukturierung  der  BoC  und  der  Laïki  geführt  hätten.  Das MoU wurde  daraufhin  von  der  Kommission  (im Namen  des  ESM)  und  Zypern unterzeichnet,  und der ESM gewährte Zypern eine finanzielle Unterstützung.

Mehrere  zyprische  Einzelpersonen  sowie  eine  Gesellschaft mit  Sitz  in Zypern  waren  Inhaber  von Einlagen  bei  der  BoC  oder der  Laïki.  Die Durchführung der  mit  den  zyprischen  Behörden vereinbarten  Maßnahmen  führte  zu  einem  erheblichen  Wertverlust  dieser  Einlagen.  Daraufhin erhoben   die   betroffenen   Einzelpersonen   und   die   genannte   Gesellschaft   beim   Gericht   der Europäischen  Union  Klagen u.a. auf  Ersatz  des  Wertverlustes,  den  ihre  Einlagen durch  den Abschluss  des  MoU erlitten  haben sollen,  und  auf  Nichtigerklärung der  einschlägigen  Punkte dieses  MoU.  Außerdem  erhoben  sieben  zyprische  Einzelpersonen  Klagen beim  Gericht  auf Nichtigerklärung  der  Erklärung  der  Euro-Gruppe  vom 25. 3. 2013 zur Umstrukturierung  des zyprischen Bankensektors.

Mit fünf Beschlüssen vom 16. 10. 2014 [Beschlüsse  des  Gerichts  vom  16.  10. 2014, Mallis und Malli/Kommission  und  EZB  (T-327/13),  Tameio  Pronoias Prosopikou   Trapezis   Kyprou/Kommission   und   EZB   (T-328/13),   Chatzithoma/Kommission   und   EZB   (T-329/13), Chatziioannou/Kommission und EZB (T-330/13) und Nikolaou/Kommission und EZB (T-331/13)] wies das Gericht zum einen die gegen die Erklärung vom 25. 3. 2013 gerichteten Nichtigkeitsklagen als unzulässig ab. Es entschied, dass der ESM nicht  zu  den  Unionsorganen  gehöre  und  dass  die  Erklärung  der  Euro-Gruppe  weder  der Kommission und der EZB zugerechnet werden noch Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen könne. Mit drei Beschlüssen  vom  10.11. 2014 [Beschlüsse  des  Gerichts  vom  10. 11. 2014,  Ledra Advertising/Kommission  und  EZB  (T-289/13),  Eleftheriou u.a./Kommission und EZB (T-291/13) und Theophilou/Kommission und EZB (T-293/13)] wies  das  Gericht  zum  anderen  die Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit dem Abschluss des MoU mit der Begründung ab, dass sie teilweise unzulässig und teilweise unbegründet seien. Das Gericht stellte fest,  dass  die  Kommission  das  MoU
nur  im  Namen  des  ESM  unterzeichne  und  dass  die  von  der Kommission  und  der  EZB  im  Rahmen  des  ESM ausgeübten  Tätigkeiten  nur  diesen verpflichte. Auch  hätten  die  Personen,  die  diese  Klagen  erhoben  hätten,  nicht mit  Sicherheit nachgewiesen, dass der von ihnen geltend gemachte Schaden tatsächlich durch eine Untätigkeit der Kommission verursacht worden sei. Daraufhin haben die Einzelpersonen und die Gesellschaft beim Gerichtshof die Aufhebung der Beschlüsse des Gerichts beantragt.

In  seinen  heutigen  Urteilen bestätigt  der  Gerichtshof  die  Beschlüsse  vom  16. 10. 2014 über  die Nichtigkeitsklagen  gegen  die  Erklärung  der  Euro-Gruppe  vom  25. 3. 2013. Hingegen  hebt  er  die  Beschlüsse  vom  10. 11. 2014  über  die Schadensersatzklagen auf, gibt diesen Klagen jedoch in der Sache nicht statt.
In  Bezug  auf  die  Rechtsmittel,  die die gegen  die  Erklärung  der  Euro-Gruppe  vom  25. 3. 2013   gerichteten Nichtigkeitsklagen betreffen   (verbundene   Rechtssachen   C-105/15 P bis C-109/15 P),  ist  der  Gerichtshof  der Auffassung,  dass  das  Gericht  zutreffend  entschieden  hat, dass die Erklärung der Euro-Gruppe nicht als ein gemeinsamer Beschluss der Kommission und der EZB angesehen werden kann. Die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen umfassen nämlich keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne,  zumal die  Tätigkeiten  dieser  beiden  Organe  im  Rahmen  des  ESM-Vertrags  nur  den  ESM verpflichten. Der Umstand, dass die Kommission und die EZB an den Sitzungen der Euro-Gruppe teilnehmen, ändert nichts an der Natur der Erklärungen der Euro-Gruppe, so dass ihre Erklärung vom  März  2013  nicht  als Ausdruck  einer Entscheidungsbefugnis  dieser  beiden  Unionsorgane angesehen  werden  kann.  Schließlich  stellt  der  Gerichtshof  fest,  dass nicht  davon  ausgegangen werden  kann,  dass den  zyprischen  Behörden der  Erlass  des  für  die Umstrukturierung  der Kreditinstitute erforderlichen  rechtlichen  Rahmens durch  einen vermeintlichen gemeinsamen Beschluss  der  Kommission  und  der  EZB,  der  in  der Erklärung der  Euro-Gruppe  vom  März  2013 verkörpert sein soll, vorgeschrieben worden wäre. Der Gerichtshof weist daher die Rechtsmittel zurück und bestätigt die Beschlüsse des Gerichts vom 16. 10. 2014.
In   Bezug   auf   die   Rechtsmittel,   die die Schadensersatzklagen betreffen   (verbundene Rechtssachen  C-8/15 P  bis  C-10/15 P), ist  der  Gerichtshof  der  Auffassung,  dass  der  Umstand, dass die  der  Kommission  und  der  EZB  im  Rahmen des  ESM-Vertrags  übertragenen  Funktionen keine Entscheidungsbefugnis  im  eigentlichen  Sinne umfassen  und  nur  den  ESM  verpflichten, es nicht ausschließt,  von der  Kommission  und  der  EZB  Schadensersatz  wegen  ihres vermeintlich rechtswidrigen  Verhaltens  beim Abschluss eines  MoU im  Namen  des  ESM  zu fordern.  Die  der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM übertragenen Aufgaben verfälschen nämlich nicht die  Befugnisse,  die  ihnen  der EU-Vertrag  und  der  AEU-Vertrag  übertragen.  Somit  behält  die Kommission  im  Rahmen des  ESM-Vertrags  ihre  Rolle  als  Hüterin  der  Verträge,  wie  sie  sich  aus Art.17 Abs.1 EUV ergibt, so dass sie davon Abstand nehmen muss, ein MoU zu unterzeichnen, dessen  Vereinbarkeit  mit  dem  Unionsrecht  sie  bezweifelt.  Der  Gerichtshof  schließt  daraus,  dass das   Gericht rechtsfehler haft   festgestellt hat,   dass   es nicht   befugt   sei,   die   auf   die Rechtswidrigkeit  einiger  Bestimmungen  des  MoU gestützten Schadensersatzklagen  zu prüfen. Er hebt daher die Beschlüsse vom 10. 11. 2014 auf.
Da  die  Rechtssachen entscheidungsreif sind, beschließt  der  Gerichtshof,  selbst  über  die Schadensersatzklagen  zu  entscheiden. Insoweit weist  der  Gerichtshof  darauf  hin,  dass die außervertragliche  Haftung  der  Union vom  Vorliegen  einer  Reihe  von  Voraussetzungen  abhängt, und zwar erstens der Rechtswidrigkeit des dem Unionsorgan vorgeworfenen Verhaltens, zweitens dem tatsächlichen Bestehen des Schadens und drittens der Existenz eines Kausalzusammenhangs  zwischen  diesem  Verhalten  und  dem  geltend  gemachten  Schaden. Was die  erste  Voraussetzung  anbelangt,  muss ein  hinreichend  qualifizierter  Verstoß  gegen  eine Rechtsnorm nachgewiesen  werden,  die  dem  Einzelnen  Rechte  verleihen  soll.  Der  Gerichtshof stellt fest, dass diese Rechtsnorm im vorliegenden Fall Art.17 Abs.1 der Charta der Grundrechte der EU ist, in dem es heißt, dass jede Person das Recht hat, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen. Zwar führen die Mitgliedstaaten im Rahmen des ESM-Vertrags nicht das Unionsrecht durch, so dass die Charta in diesem Rahmen nicht für sie gilt [vgl. in diesem Sinn Urteil vom 27. 11. 2012, Pringle (C-370/12, vgl. auch Pressemitteilung Nr.154/12)]; für die Unionsorgane gilt die Charta jedoch auch  dann, wenn  sie  außerhalb  des  EU-Rechtsrahmens  handeln.  Die  Kommission  muss sich  daher  vergewissern,  dass  ein  solches  MoU mit  den in der  Charta verbürgten Grundrechten vereinbar  ist.  Gleichwohl  ist  die  erste Voraussetzung  für  die Begründung der  außervertraglichen Haftung  der  Union  im  vorliegenden  Fall  nicht  erfüllt:  Die  Annahme  des  fraglichen  MoU entspricht nämlich einem  dem  Gemeinwohl  dienenden  Ziel  der  Union, und  zwar  dem,  die  Stabilität  des Bankensystems  der  Euro-Währungsgebiets  insgesamt  sicherzustellen. Unter  Berücksichtigung dieses  Ziels  und  der  Art  der geprüften  Maßnahmen und  in  Anbetracht der den Einlegern bei  den beiden  betroffenen Banken  im  Fall  von  deren  Zahlungsunfähigkeit unmittelbar drohenden  Gefahr finanzieller  Verluste stellen diese  Maßnahmen  keinen  unverhältnismäßigen  und  nicht  tragbaren Eingriff dar, der das durch Art.17 Abs.1 der Charta gewährleistete Eigentumsrecht der Einleger in seinem  Wesensgehalt  antastet. Sie  können  daher  nicht  als  ungerechtfertigte  Beschränkungen dieses  Rechts  angesehen  werden. Die  Kommission  hat  demnachnicht  zu  einer  Verletzung  des Eigentumsrechts  der  Personen,  die  die  Klagen  erhoben  haben,  beigetragen. Da  die  erste Voraussetzung  für  die  Begründungder  außervertraglichen  Haftung  der  Union  nicht  erfüllt ist, weist der Gerichtshof die Schadensersatzklagen ab.


HINWEIS: Beim  Gerichtshof  kann  ein  auf  Rechtsfragen  beschränktes  Rechtsmittel  gegen  ein  Urteil  oder einen  Beschluss  des  Gerichts  eingelegt  werden.  Das  Rechtsmittel  hat  grundsätzlich  keine  aufschiebende Wirkung.  Ist  das  Rechtsmittel  zulässig  und  begründet,  hebt  der  Gerichtshof  die  Entscheidung  des  Gerichts auf.  Ist  die  Rechtssache  zur  Entscheidung  reif,  kann  der  Gerichtshof  den  Rechtsstreit  selbst  entscheiden. Andernfalls  verweist  er  die  Rechtssache  an  das  Gericht  zurück,  das  an  die  Rechtsmittelentscheidung  des Gerichtshofs gebunden ist.


[Urteile den verbundenen Rechtssachen C-8/15 P Ledra Advertising/Kommission und EZB, C-9/15 P Eleftheriou u.a./Kommission und EZB und C-10/15 P Theophilou/Kommission und EZB sowie in den verbundenen Rechtssachen C-105/15 P Mallis und Malli/Kommission und EZB, C-106/15 P Tameio Pronoias Prosopikou Trapezis Kyprou/Kommission und EZB, C-107/15 P Chatzithoma/Kommission und EZB, C-108/15 P Chatziioannou/Kommission und EZB und C-109/15 P Nikolaou/Kommission und EZB]

Der Volltext der Urteile (verbundene Rechtssachen C-8/15 P, C-9/15 P und C-10/15 P sowie verbundene Rechtssachen C-105/15 P, C-106/15 P, C-107/15 P, C-108/15 P und C-109/15 P) wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht.

Pressemitteilung des Gerichtshof der Europäischen Union Nr.102/16 vom 20. 9. 2016