Rezension: Aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte von Versicherungsunternehmen

Bei der hier besprochenen Arbeit von Hersch aus dem Jahr 2014 handelt es sich um eine Dissertation des Fachbereichs Recht der Universität Trier, die von Prof. Dr. Peter Reiff betreut wurde. Rechtsprechung und Literatur sind nach dem Vorwort des Autors bis Ende Juli 2014 berücksichtigt.
Nach einer kurzen Einführung beginnt die Arbeit des Autors mit eine kompakten Darstellung grundlegender versicherungsaufsichtsrechtlicher Begrifflichkeiten und Zusammenhänge, die als Basis für die nachfolgenden Ausführungen des Autors dient und zusätzlich eine kurze verfassungsrechtliche Betrachtung einschließt.
Anschließend behandelt Hersch die relevanten Eingriffsbefugnisse der Versicherungsaufsichtsbehörde gegenüber Geschäftsleitern und Aufsichtsräten im Kontext ihrer Qualifikationsanforderungen. Der Autor bietet einen fundierten Überblick über die einschlägigen Eingriffsinstrumente der Behörde und ordnet die Tätigkeitsuntersagung zutreffend als den gegenüber dem Abberufungsverlangen gewichtigeren Eingriff ein, der zudem nur zeitlich begrenzt ausgesprochen werden kann. Da Hersch nur die formellen, gesetzlich ausdrücklich eingeräumten Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörde analysiert, bleiben hier die in der Praxis wichtigen informellen, aber oft gleichermaßen wirksamen Einflussmöglichkeiten der Behörde außer Betracht.
Danach beschäftigt sich der Autor ausführlich mit den Anforderungen an die persönliche Zuverlässigkeit und Qualifikation der Geschäftsleiter; er betrachtet dabei nicht nur Geschäftsleiter bei Versicherungsunternehmen, sondern weitet den Untersuchungsgegenstand auf Geschäftsleiter von Versicherungsholdinggesellschaften und Pensionsfonds aus. Die Eingangsbetrachtung des Autors schließt mit der ganz wesentlichen Erkenntnis, dass bezüglich der Aspekte persönliche Zuverlässigkeit und fachliche Eignung aufgrund der Solvency-II-Regulierung eine Akzentverschiebung stattfinden wird. Diese zentralen Begriffe der Personenkontrolle sind künftig nicht mehr nach dem tradierten deutschen Verständnis, sondern nach den europäischen Kriterien der Richtlinie Solvabilität II und vor allem der dazu ergangenen delegierten Verordnung sowie nach den Auslegungsmaßstäben des EuGH zu beurteilen.
Im Hinblick auf die erforderliche Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter behandelt der Autor detailliert die praxisrelevanten Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und strafprozessualen Aspekte. Er arbeitet zutreffend das Kriterium des Gewerbebezugs im Hinblick auf die (Un-)Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter heraus. Ihr Verhalten wirkt sich nur insoweit negativ aus, als es die konkrete Tätigkeit des Versicherungsunternehmens nachteilig tangieren kann. Bezüglich der fachlichen Eignung diskutiert der Autor vertieft die Aspekte der horizontalen und vertikalen Delegation. Mit überzeugender Argumentation lehnt Hersch die Auffassung des VG Frankfurt/M. im „Bruderhilfe-Urteil“ ab, dass aus dem versicherungsaufsichtsrechtlichen Vieraugenprinzip für die Geschäftsleiter erhöhte Anforderungen gegenüber den aktienrechtlichen Vorgaben für Vorstände abzuleiten seien.
Nach den Geschäftsleitern wendet sich Hersch den Qualifikationsanforderungen für die Aufsichtsratsratsmitglieder zu. Er sieht die Anforderungen an die Zuverlässigkeit von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern als identisch an. Die aktienrechtliche Diskussion über einen abgeschwächten Zuverlässigkeitsgrad für Aufsichtsräte im Hinblick auf relevante Vorstrafen hält der Autor wegen der gewerberechtlichen Betrachtung im VAG nicht für relevant. Freilich bleibt (auch gewerberechtlich) der Aspekt, dass Aufsichtsratsmitglieder mangels direkter Einwirkungsmöglichkeiten auf Vermögenswerte des Unternehmens eine im Vergleich zum Vorstand reduzierte Gefahrenquelle darstellen.
Bezüglich der Sachkundeanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder diskutiert Hersch ausführlich das Verhältnis aktienrechtlicher Mindestanforderungen nach dem „Hertie-Urteil“ des BGH zu den aufsichtsrechtlichen Vorgaben. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es für den Aufsichtsrat in Versicherungsunternehmen trotz der aufsichtsrechtlichen Regulierung bei den aktienrechtlichen Anforderungen bleibt. Damit wäre die gesonderte Regulierung der Sachkundeanforderungen im VAG letztlich ein Akt der Symbolgesetzgebung im Gefolge der Finanzmarktkrise. Im Gegensatz zur Interpretation der BaFin lehnt Hersch eine Übergangszeit für den Erwerb der Sachkunde ab. Überzeugend ist sein Argument, dass jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied von Beginn an vollwertig und arbeitsfähig sein muss. Für diese Ansicht spricht zudem die Anforderung der Solvency-II-Regulierung, dass die Qualifikation „jederzeit“ vorliegen muss.
Der Autor beendet seine Untersuchung mit einem (Aus-)Blick auf die Folgen der europäischen Solvency-II-Regulierung für die Anforderungen an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. Überzeugend analysiert er die europäischen Vorgaben dahin gehend, dass diese zu veränderten Qualifikationsanforderungen führen. Hersch verweist exemplarisch auf die künftig eingeschränkte Regelvermutung für Vorstände und die Erfahrung in Versicherungsgeschäften für Aufsichtsräte. Für Letztere fordert nun auch das Gesellschaftsrecht (§§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG) Vertrautheit mit der Branche.
Hersch hat eine umfangreiche, gut strukturierte und detaillierte Darstellung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vorstände und Aufsichtsräte vorgelegt, die hier nur in einigen ausgewählten Aspekten besprochen werden kann. Die Arbeit hat beachtlichen Tiefgang, ist dabei aber sehr praxisorientiert angelegt und bietet so eine echte Hilfe für die Rechtsanwender. Die erörterten grundsätzlichen Themen und Fragen sind auch nach dem Wirksamwerden der Solvency-II-Regulierung aktuell und werden vielleicht sogar aktueller als zuvor.
Der Rezensent, Dr. Jürgen Bürkle, leitet den Bereich Recht und Compliance der Stuttgarter Lebensversicherung a. G. und ist Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Versicherungsrecht.

Aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte von Versicherungsunternehmen
Von Hans-Gerd Hersch
(Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. u. a. 2015, XLIV und 344 S., ISBN 978-3653-9745-22, 84 Euro; Reihe: Europäische Hochschulschriften – Rechtswissenschaft)

(Die Rezension ist abgedr. in VersR 2017, 140)