Rezension: Treatises on Solvency II

Am 1. 1. 2016 ist Solvency II nach vielen Jahren der Vorbereitung in Kraft getreten. Seither bestimmen das neue ökonomisch und risikobasierte Aufsichtsregime und die damit verbundenen Neuregelungen die versicherungsaufsichtsrechtliche Wirklichkeit in Europa. Obwohl sich Aufsicht und Unternehmen über einen längeren Zeitraum auf das neue Recht vorbereitet haben, zeigen sich – wie bei so umfassenden Gesetzgebungsvorhaben typisch – eine Reihe von Herausforderungen für die Praxis erst jetzt.
Meinrad Dreher hat die Entwicklung von Solvency II und ihre Implementierung aus wissenschaftlicher Sicht kritisch begleitet. Seine Überlegungen haben dabei schon frühzeitig einige der nun relevanten Fragestellungen entweder aufgegriffen oder bilden ein gutes Fundament, dafür nunmehr Lösungen zu finden. In dem neuen Werk „Treatises on Solvency II“ sind die wesentlichen Ausarbeitungen von Dreher zu Solvency II, die zwischen 2009 und 2014 in Aufsatzform erschienen, nunmehr in englischer Sprache zusammengefasst.
Das Buch deckt dabei eine große Bandbreite von sehr verschiedenen Themen ab. Zum einen befasst sich Dreher mit echten Grundlagenfragen, wie etwa dem Harmonisierungsgrad der Solvency-II-Rahmenrichtlinie, dem aufsichtlichen Überprüfungsverfahren und dem Verbraucherschutz unter dem neuen versicherungsaufsichtsrechtlichen Regime. Auch wenn sich der Gesetzgeber letztlich gegenüber den schon früh vorgebrachten Argumenten von Dreher für eine Vollharmonisierung nicht offen gezeigt hat, stellen die diesbezüglichen Ausführungen ein Schulbeispiel für eine anspruchsvolle und methodisch äußerst fundierte Argumentation dar. Daneben behandelt das Werk eine Vielzahl von Themen aus den drei Säulen von Solvency II, nämlich Solvabilität, Governance und Aufsicht sowie Publizität. Nicht ganz überraschend für einen juristischen Autor liegt der größte Schwerpunkt der Sammlung bei Fragen zur Governance. Hier analysiert Dreher mit wissenschaftlicher Tiefe, aber ohne den Praxisbezug außer Acht zu lassen, beispielsweise die neuen Regelungen zu Schlüsselfunktionen und zu den Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder und befasst sich daneben mit Stellung und Aufgabe der Compliance-Funktionen und ihrem Verhältnis zur Rechtsfunktion. Auch dem für das neue ökonomisch und risikobasierte Aufsichtssystem so zentralen ORSA- und Risikomanagementsystem nimmt er sich an. Schließlich folgen noch zwei Abhandlungen zur Berichterstattung gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit. Angesichts des für das Solvency-II-System so wichtigen Öffentlichkeitseffekts zwei sehr wichtige Themen.
Durch den neuen Band wird nochmals deutlich, welche große Fülle an neuen und sehr unterschiedlichen Themen durch Solvency II entstanden ist. Gleichzeitig unterstreicht das Werk die enorme Schaffenskraft, die Meinrad Dreher dem neuen Recht seit 2009 gewidmet hat. Da es sich bei Solvency II bekanntlich um ein europäisches Projekt handelt, soll die Übersetzung der zunächst auf Deutsch erschienenen Aufsätze in die englische Sprache einen weiteren Leserkreis erschließen und eine länderübergeifende, europäische Diskussion ermöglichen. Dies ist angesichts der europarechtlichen Grundlagen von Solvency II (dem Vernehmen nach wird auch das Vereinigte Königreich trotz „Brexit“ daran festhalten) sinnvoll. Es ist daher zu hoffen, dass das neue Werk auch im Ausland die verdiente Beachtung findet.
Der Rezensent, Dr. Wessel Heukamp, ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in München und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Treatises on Solvency II
Von Meinrad Dreher
(Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2015, XXI und 478 S., geb., ISBN 978-3-662-46289-8, 139,09 Euro)

(abgedr. in VersR 2016, 1034)