von Prof. Dr. Christian Armbrüster
Im freundlichen Wettstreit zwischen Köln und Düsseldorf galt bislang: Köln hat bei der Anzahl der Karnevalsbesucher die Nase vorn, Düsseldorf dafür bei der Anzahl der grundlegenden OLG-Entscheidungen zur D&O-Versicherung. Womöglich deutet sich allerdings gerade eine gewisse Verschiebung an, jedenfalls was die D&O-Rechtsprechung angeht. Das OLG Köln hat mit Urteil vom 21.11.2023 (9 U 206/22, BeckRS 2023, 33886; s. dazu schon Langheid, VersR BLOG vom 30.11.2023) zu mehreren praxisrelevanten Themen Stellung bezogen, zu denen aus Düsseldorf bislang – gewiss allein mangels geeigneter Fälle – nichts Grundsätzliches zu vernehmen war.
Zu beurteilen waren Fragen, die sich bei der Geltendmachung des Anspruchs gegen den Versicherer nach dessen Abtretung durch das Organmitglied – hier: einem GmbH-Geschäftsführer – an die versicherungsnehmende Gesellschaft stellen. Derartige Abtretungen kommen dem Vernehmen nach in der Praxis eher selten vor, dies ungeachtet der Tatsache, dass der BGH (BGHZ 209, 373 = VersR 2016, 786, Rn. 16 ff.) ihre Zulässigkeit mit der Folge, dass sich durch die Abtretung der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch verwandelt, für die Praxis geklärt hat. Womöglich hängt diese Zurückhaltung nicht zuletzt mit einigen noch ungeklärten Folgefragen zusammen. Insbesondere zu zwei dieser auf obergerichtlicher Ebene bislang nicht entschiedenen Fragen nimmt das OLG Köln Stellung, nämlich zu den Auswirkungen eines Stillhalteabkommens zwischen VN und Organmitglied sowie zu der Frage, ob sich an der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG infolge der Abtretung etwas ändert.
Was das Stillhalteabkommen (pactum de non petendo) angeht, so stellte sich die Frage, ob allein der Umstand, dass dieses Abkommen hier nicht ausdrücklich dadurch auflösend bedingt war, dass eine Leistungspflicht des VR rechtskräftig verneint oder die Abtretung rückgängig gemacht worden ist (vgl. Armbrüster in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2022, AVB D&O A-9 Rn. 19; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 21 Rn. 84), dazu führt, dass die Abtretung als an Erfüllungs statt vorgenommen anzusehen ist. Zutreffend legt das OLG Köln dar, dass die Auslegung der weiteren Abreden – Bestätigung, dass der Bestand der abgetretenen Forderungen nicht berührt wird; Offenhaltung sämtlicher Verteidigungsmöglichkeiten für den Zedenten; Verzicht der Zessionarin auf Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel gegen den Zedenten – entscheidend für eine Abtretung lediglich erfüllungshalber spricht, wie sie in der Praxis den Regelfall bildet.
Zur Beweislastverteilung folgt das OLG Köln denjenigen Stimmen, die davon ausgehen, dass sich infolge der Abtretung nichts an der Beweislast ändert. Demnach obliegt es im Direktprozess dem VR darzulegen und zu beweisen, dass das dem Organmitglied angelastete Fehlverhalten nicht pflichtwidrig war oder dass es am Verschulden fehlt. Das Gericht stellt die Argumente beider zu dieser umstrittenen Frage vertretenen Ansichten weitgehend vollständig dar, um sich sodann mit folgenden Argumenten gegen eine teleologische Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zu entscheiden: Die Abtretung führe grundsätzlich nur zu einem Austausch des Schuldners; der VR werde durch die Abtretung nicht schlechter gestellt, da er auch bei getrennter Führung von Haftpflicht- und Deckungsprozess an das Ergebnis des Haftpflichtprozesses gebunden sei und ihm das Organmitglied nach einer Abtretung als Zeuge zur Verfügung stehe; es werde ein Gleichlauf der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der (haftungsrelevanten) Pflichtverletzung und deren (deckungsrelevanter) Wissentlichkeit erzielt.
Alle diese Argumente lassen sich hören. Auf die Einwände und Gegenargumente (näher dazu Armbrüster in MünchHdbGesR, Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 108 Rn. 107 ff.) geht das Gericht in seiner Stellungnahme freilich nicht ein. Genannt seien hier nur der Umstand, dass die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG angeordnete Ausnahme von den allgemeinen Regeln zur Beweislastverteilung durch die größere Sachnähe des Organmitglieds zu der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung und durch die typischerweise bei der Gesellschaft bestehende Beweisnot begründet ist. Beide Aspekte treffen bei der hier interessierenden Abtretung nicht – jedenfalls nicht ohne Weiteres – zu. Aus denselben Erwägungen ist § 93 Abs. 2 S. 2 AktG nach einer verbreiteten Ansicht im aktienrechtlichen Schrifttum nicht zum Nachteil von Rechtsnachfolgern des Organmitglieds, insbesondere von dessen Erben, anwendbar. Damit soll gerade dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ihnen die erforderliche Sachnähe fehlt (s. etwa J. Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 Rn. 114). Das OLG Köln geht auf diese Paralleldiskussion nicht ein.
Im Ergebnis kam es hier freilich, wie das OLG Köln selbst feststellt, auf die Frage der Beweislastverteilung gar nicht an. Daher ist es – ganz unabhängig davon, wie man die inhaltliche Positionierung des Gerichts letztlich bewertet (gut vertretbar ist sie allemal) – verdienstvoll, dass die Thematik erstmals auf obergerichtlicher Ebene aufgegriffen worden ist. Die weitere Diskussion hat Langheid hier (VersR BLOG vom 30.11.2023) schon eröffnet. Zu seiner Einschätzung, dass die Zeugenstellung des Organmitglieds dem VR einen prozessualen Vorteil verschafft, ist Folgendes anzumerken: Ein Organmitglied wird dem Ausgang des Direktprozesses kaum jemals neutral gegenüberstehen. Kritisch sind insoweit insbesondere die Fälle, in denen ein kollusives Verhalten von Organwalter und Gesellschaft in Rede steht. Der BGH hat dazu ausgeführt, dass diese Gefahr nicht auf die D&O-Versicherung beschränkt sei und dass sie auch ohne Abtretung des Deckungsanspruchs bestehe (BGHZ 209, 373 = VersR 2016, 786, Rn. 20). Ob die Gefahrenlage tatsächlich vergleichbar ist, mag man jedenfalls für die GmbH bezweifeln. Davon unabhängig wird sich bei derartigen Sachlagen eine Benennung des Organmitglieds als Zeuge für den VR nur dann als hilfreich erweisen, wenn das Gericht bei der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO einen im Raume stehenden Manipulationsverdacht angemessen berücksichtigt.
Insgesamt ist es dem OLG Köln mit dem Urteil gelungen, wichtige Akzente zu setzen. In sprachlicher Hinsicht mag es irritieren, dass die Entscheidung bei der Bezeichnung der Anspruchsgegnerin durchgängig zwischen „Versicherer“ und „Versicherung“ oszilliert, während das VVG beide Begriffe streng voneinander trennt. Zudem ist die Wortschöpfung „Obliegenheitspflichten“ – die nicht in den Urteilsgründen, aber ausweislich des Tatbestands offenbar sowohl von im Kläger- als auch im Beklagtenvortrag verwendet wurde – ein Oxymoron. Man mag sich insoweit damit trösten, dass in diesem Punkt auch der VVG-Reformgesetzgeber erstaunlich nachlässig war, indem er in § 19 VVG (in Fortführung der Titelüberschrift vor § 16 VVG a.F.) von einer „Anzeigepflicht“ spricht und dazu in der Begründung wörtlich ausführt: „Wie im geltenden Recht allgemein anerkannt ist, handelt es sich bei der Anzeigepflicht um eine besondere Obliegenheit des Versicherungsnehmers […].“ (Regierungsbegr., BT-Drucks. 16/3945, S. 64). Die darin zum Ausdruck kommende Unbekümmertheit um eine präzise Terminologie sollte die Praxis nicht dazu ermutigen, den grundlegenden Unterschied zwischen Pflichten und Obliegenheiten sprachlich zu verwischen.