EFTA-Gerichtshof: Nationale Vorschriften und Praktiken, die auf das Eigentum an norwegischen Unternehmen zur Anwendung kommen, müssen mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein

Der EFTA-Gerichtshof hat Fragen, die vom Bezirksgericht Oslo (Oslo tingrett) zur Auslegung der Art. 31, 36 und 40 des EWR-Abkommens vorgelegt wurden, beantwortet. Die Vorlage erfolgte im Zusammenhang mit Vorschriften und Praktiken, die auf das Eigentum an norwegischen Unternehmen zum Zeitpunkt der Antragstellung dieser Unternehmen auf Zulassung als Banken- oder Versicherungsunternehmen, zur Anwendung kommen.

Netfonds Holding ASA, Netfonds Bank AS und Netfonds Livsforsikring AS (Kl.) forderten Entschädigung von der norwegischen Regierung (Bekl.) mit der Begründung, dass die Bekl. nur beschränkte Banken- und Versicherungslizenzen an die Kl. ausgegeben habe, obwohl die Kl. volle Lizenzen beantragt hatten. Die essenziellen und widerkehrenden Bedingungen, die von den Kl. bekämpft wurden, sind jene Voraussetzungen der Bekl., wonach, um eine volle Banken- und Versicherungslizenz zu erlangen, dreiviertel oder mehr des Aktienkapitals durch Kapitalerhöhung oder Verkauf ohne Vorzugs- oder Vorkaufsrechte (dispersion sale) zerstreut werden muss, oder, alternativ, nur eine beschränkte Lizenz für die Banken- und Versicherungsaktivtäten („Nischenaktivität“) ausgegeben wird.

Mit seinen drei Fragen erkundigte sich das vorlegende Gericht im Wesentlichen darüber, ob die relevanten Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken der Bekl., die auf das Eigentum an norwegischen Unternehmen zum Zeitpunkt der Antragstellung dieser Unternehmen für die Zulassung als Banken- oder Versicherungsunternehmen, zur Anwendung kommen, eine Beschränkung nach Art. 31, 36 oder 40 des EWR-Abkommens darstellen würden. Für den Fall, dass diese Frage bejaht würde, erkundigte sich das vorlegende Gericht, ob eine solche Beschränkung im Sinne der rechtlichen Kriterien, die vom Gerichtshof in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Ziele der nationalen Maßnahme, ihrer Geeignetheit und ihrer Notwendigkeit angewendet werden, gerechtfertigt werden könne. Nachdem die drei Fragen ähnliche Auslegungsmöglichkeiten der nationalen Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken betrafen, entschied der Gerichtshof diese Fragen gemeinsam zu beantworten.

Der Gerichtshof stellte fest, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt die relevante Sekundärgesetzgebung der EU, die in das EWR-Abkommen aufgenommen wurde, die EWR-Staaten nicht davon abhielt strengerer Rechtsvorschriften für das Verfahren zur Zulassung von Banken- und Versicherungsunternehmen niederzulegen. Solche Rechtsvorschriften müssen aber nichtsdestotrotz mit den vom EWR-Abkommen garantierten Grundfreiheiten vereinbar sein. Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken, wie jene die in den Fragen beschrieben wurden, stellen Beschränkungen dar, die überwiegend in den Anwendungsbereich von Art. 31 des EWR-Abkommens zu fallen scheinen. Es obliegt dem vorlegenden Gericht zu ermitteln, ob dies tatsächlich der Fall ist.

Zur Frage der Rechtmäßigkeit der von den bekämpften Maßnahmen verfolgten Zielen, stellte der Gerichtshof fest, dass das Ziel Anreize zur übermäßigen Risikoübernahme durch Eigentümer von Banken- und Versicherungsunternehmen zu verringern, insbesondere in Bezug auf die Gefahr eines Machtmissbrauches, zwingende Gründe des Allgemeininteresses widerspiegelt, die geeignet sind nationale Maßnahmen, die die Niederlassungsfreiheit nach Art. 31 des EWR-Abkommens beschränken, zu rechtfertigen. Der Gerichtshof fügte hinzu, dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, jene Ziele zu ermitteln, die tatsächlich von den nationalen Maßnahmen verfolgt werden, sowie zu untersuchen, ob diese Ziele in einer geeigneten und kohärenten Weise verfolgt werden.

Zur Frage der Geeignetheit, stellte der Gerichtshof fest, dass nationale Rechtsvorschriften, wie in den Fragen 1 und 2 beschrieben, nicht geeignet erscheinen das rechtmäßige Ziel, das vom Gerichtshof identifiziert wurde, zu erreichen. Die Verwaltungspraktik, wie in Frage 3 beschrieben, scheint jedoch in dem Ausmaß geeignet zu sein, soweit sie auf Anträge zur Zulassung als Banken- oder Versicherungsunternehmen und nicht auf Sekundärakquisitionen, nach Erteilung einer Genehmigung, zur Anwendung kämen.

Schließlich, entschied der Gerichtshof, dass, für den Fall, dass das vorlegende Gericht eine oder mehrere Maßnahmen als zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels geeignet erachten würde, es auch ermitteln müsse, ob die Maßnahmen über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen. Im vorliegenden Fall, stellte der Gerichtshof fest, dass andere als die bekämpften Maßnahmen, weniger einschränkend und gleichermaßen wirksam erscheinen, um das identifizierte rechtmäßige Ziel zu erreichen.

EFTA-Gerichtshof,  Urteil vom 16.5.2017 (E-8/16)

Pressemitteilung des EFTA-Gerichtshofs Nr. 5 vom 16.5.2017

Das Urteil kann im Volltext im Internet unter www.eftacourt.int heruntergeladen werden.