Rezension: Der verwerflich handelnde Geschädigte

Der verwerflich handelnde Geschädigte
Rechtsschutzversagung wegen rechts- oder sittenwidrigen Verhaltens im deutschen und englischen Deliktsrecht

Von Lorenz Mayr
(Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2015, brosch., XVII und 341 S., ISBN 978-3-16-154228-2, 64 Euro; Bd. 32 der Schriftenreihe der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e. V.)

Ein Einbrecher dringt in eine Garage ein, durch die er in das dazugehörende Haus einbrechen will, was aber nicht gelingt. Gleichzeitig fällt das Garagentor zu, sodass der Einbrecher mehrere Tage in Gefangenschaft verbringt, die er aber durch den Verzehr von Wasser und Tiernahrung, die in der Garage gelagert wurden, überlebt. Ein US-amerikanisches Gericht spricht ihm anschließend ein Schmerzensgeld zu, weil der Eigentümer des Hauses nicht hinreichend Vorsorge getroffen hatte, dass das Garagentor nicht zufallen konnte bzw. von innen nicht wieder zu öffnen war.

Ob diese Geschichte wahr ist oder ob es sich um einen der sogenannten Stella-Awards handelt, ist unklar (mit diesem werden die verrücktesten amerikanischen Urteile, bei denen es sich allerdings meistens um Fiktionen handelt, ausgezeichnet, frei nach der berühmten Stella Liebeck, die im Alter von 79 Jahren 2,9 Mio. US-$ von einer berühmten Frikadellenbraterei erlangte, weil der von ihr dort erworbene Kaffee, den sie beim Losfahren mit ihrem Pkw zwischen ihre Schenkel gestellt hatte, und der sie dann an empfindlichen Stellen verbrühte, zu heiß gewesen war).

Fälle, die ähnlich gelagert sind, werden vom Autor Lorenz Mayr in seiner Dissertation „Der verwerflich handelnde Geschädigte“ darauf hin untersucht, ob es prinzipiell gerechtfertigt ist, einem Geschädigten den Rechtsschutz wegen eines eigenen rechts- oder sittenwidrigen Verhaltens ganz oder teilweise zu versagen. Seine Untersuchung vergleicht die Rechtslage nach deutschem und englischem Deliktsrecht und gelangt zu dem überzeugenden Ergebnis, dass „ein verwerfliches Verhalten des Geschädigten“ als solches „im Zusammenhang mit der Schädigung … nie zu einem vollständigen Haftungsausschluss führen“ kann. Allerdings kann die Haftung des Schädigers teilweise beschränkt werden, weil er „prinzipiell nicht für die Schäden“ haften soll, die dem Geschädigten „in Folge seiner eigenen Straftat entstanden sind“. Nicht zu ersetzen sei prinzipiell auch der „entgangene Gewinn aus einer rechts- oder sittenwidrigen Tätigkeit“ und es stünde dem Geschädigten auch „kein Schadenersatz für den Verlust eines verbotenen Gegenstandes“ (gemeint ist offenkundig eine rechtswidrig erlangte Sache) zu.

Dabei beschäftigt sich der Autor zunächst mit dem angelsächsischen Grundsatz „ex turpi causa non oritur actio“, was er zutreffend übersetzt mit „aus einer schändlichen Sache entsteht keine Klage“. Überzeugend wird dargelegt, dass dieser geschichtsträchtige Grundsatz des Common Law weder uneingeschränkt noch ohne weiter hinzutretende Umstände Anwendung finden kann, sondern eine Differenzierung dahin gehend verlangt, dass die Versagung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs nur dann gerechtfertigt ist, wenn seine „Anerkennung … zu einem Wertungswiderspruch innerhalb der Rechtsordnung führen würde“. Diese Situation wird sodann mit der Rechtslage in Deutschland verglichen, wobei sowohl die analoge Anwendung des § 817 S. 2 BGB als auch die Einschränkung von Verkehrspflichten gegenüber „Unbefugtem“ problematisiert wird. Es schließen sich an Überlegungen zur Wertung zwischen einem unredlichen Verhalten des Geschädigten und der deliktischen Handlung des Schädigers gem. § 242 BGB und es wird dabei auf den „inneren Zusammenhang zwischen Unredlichkeit und Rechtserwerb“ abgestellt.

Alles in allem hat der Autor eine gründliche und wissenschaftlich fundierte wie auch im Ergebnis überzeugende Arbeit vorgelegt, die den (angelsächsischen) Grundsatz, dass der seinerseits verwerflich handelnde Geschädigte schon allein deswegen über keinerlei Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger verfügen dürfe, widerlegt und stattdessen den nachvollziehbaren Grundsatz aufstellt, dass eine solche Rechtsschutzversagung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die gegen die Rechtsordnung verstoßende Handlung des Geschädigten in kausalem Zusammenhang mit dem ihm zugefügten Schaden steht. Das würde wohl auch in dem eingangs geschilderten Fall des gefangenen Einbrechers dazu führen, dass ihm kein Schadensersatzanspruch zustehen kann, weil die ihm widerfahrene Freiheitsbeschränkung allein auf sein eigenes verwerfliches Tun zurückzuführen war.

Der Rezensent, Dr. Theo Langheid, ist Partner der Sozietät BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte PartG in Köln und Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Versicherungsrecht.

(abgedr. in VersR 2016, 1095)