BGH begrenzt überbordende Forderungen in §-5a-VVG-a.F.-Fällen – ein wichtiger Schritt zugunsten von Lebensversicherungsnehmern

Derzeit diskutiert ganz „Versicherungsdeutschland“ corona-bedingt vornehmlich über die anstehende Prozesswelle im Bereich der Betriebsschließungsversicherung. Der BLOG der Zeitschrift VersR widmet sich dagegen erneut im Anschluss an den Beitrag von Gruber vom 15.7.2020 dem „ewigen“ Vertragslösungsrechten in der Lebensversicherung. Denn diese Prozesswelle dauert bereits seit mehr als zehn Jahren in unveränderter Stärke an und führt auch im siebten Jahr nach der Bejahung eines „ewigen“ Widerspruchsrechts infolge der Europarechtswidrigkeit der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 19.2.2013 (Rs. C-209/12, VersR 2014, 225) dazu, dass sich der BGH beständig in den damit zusammenhängenden Verfahren mit offenen Rechtsfragen zu befassen hat. Die jüngst in diesem Jahr ergangenen Entscheidungen des BGH nähren jetzt aber die Hoffnung, dass die Prozesswelle abebben könnte. Denn der BGH erteilt überbordenden Forderungen von widersprechenden Personen – bzw. richtigerweise Forderungen der hinter den Klagen stehenden Unternehmen – mehrfach eine klare Absage. Er stärkt damit die Position der weitaus größeren Zahl von Lebensversicherungsnehmern, die ihren Vertrag wie vereinbart aufrechterhalten. Jeder erfolgreiche Widerspruch schwächt nämlich das Kollektiv der Lebensversicherten finanziell.

Die bedeutsamste aktuelle Entscheidung in diesem Zusammenhang ist das Urteil des BGH vom 29.4.2020 (IV ZR 5/19, VersR 2020, 836), mit dem er in Fortführung seiner Rechtsprechung bestätigt, dass die Höhe der Nutzungszinsen bezogen auf nicht verbrauchte Verwaltungskostenanteile nicht anhand der Eigenkapitalrendite des Versicherers zu berechnen ist. Mit diesem in der Sache fernliegenden Zinssatz war auf Seiten der Widersprechenden weiter versucht worden, die geltend gemachten Forderungen maßlos in die Höhe zu treiben. Zuvor hatten die Widersprechenden oft pauschale Nutzungszinsen in Höhe von z.B. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gefordert und waren auch damit bereits beim BGH gescheitert (s. z.B. Urt. v. 29.7.2015 – IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101). Welcher Zinssatz zur Berechnung der Nutzungszinsen der richtige ist, hat der BGH allerdings nach wie vor nicht entschieden. Das wird voraussichtlich aber bald entschieden werden.

Im Übrigen versuchen die Widersprechenden nach wie vor mit einer Vielzahl vermeintlicher Formfehler ein ewiges Widerspruchsrecht zu begründen. Diesen Versuchen hat der BGH in diesem Jahr mehrfach eine Absage erteilt und liegt damit letztlich auf der Linie mit dem EuGH in der von Gruber (VersR BLOG vom 15.7.2020) besprochenen Entscheidung vom 19.12.2019 (C‑355/18, C‑356/18, C‑357/18, C-479/18 „Rust-Hackner u.a.“, VersR 2020, 341).

Maßgeblich ist insoweit beispielsweise, welche Anforderungen an die nach § 10a Abs. 1 S. 1 VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 2 b und d der Anlage Teil D zum VAG a.F. erforderliche Garantiewerttabelle zu stellen waren, da unvollständige Verbraucherinformationen dazu führen können, dass ein „ewiges“ Widerspruchsrecht besteht. Fehlte jegliche Garantiewerttabelle, da es keine garantierten Rückkaufswerte gab, stellt der BGH (Urt. v. 11.12.2019 – IV ZR 8/19, VersR 2020, 208) diesbezüglich fest, dass ein Versicherer darüber nicht informieren muss.

Desgleichen hatte der BGH darüber zu entscheiden, ob ein fehlender gesonderter Ausweis von Prämien von Zusatzversicherungen ein „ewiges Widerspruchsrecht“ begründet. Hier akzentuiert der BGH (Urt. v. 24.6.2020 – IV ZR 275/19, VersR 2020, 1030), dass sich bereits aus dem Wortlaut des 10a Abs. 1 VAG a.F. i.V.m. der Anlage Teil D zum VAG a.F. ergebe, dass keine Verpflichtung zum gesonderten Prämienausweis bestand. Die Herausnahme von der Pflicht zum Einzelausweis der Prämien sei eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, wie ein Vergleich mit der letztlich nicht Gesetz gewordenen anderslautenden Regelung des Referentenentwurfs zeige. Der damit eindeutige Regelungsgehalt sei mithin einer abweichenden richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich. Konsequenterweise ließ es der BGH offen, ob es europarechtlich eines separaten Ausweises des Beitrags für die Haupt- und einer eingeschlossenen Zusatzversicherung bedurfte.

Mit Urteil vom 6.5.2020 (IV ZR 102/19, VersR 2020, 838) stellt der BGH zudem klar, dass ein Versicherungsnehmer dann darüber informiert wurde, dass Rückkaufswerte „überhaupt nicht“, auch nicht teilweise garantiert werden, wenn ihm ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass in einer nachfolgenden Übersicht aufgeführte Rückkaufswerte auf der Basis der zur Zeit der Ausstellung des Versicherungsscheins maßgeblichen Berechnungsgrundlagen ermittelt wurden und nicht garantiert werden können.

Die implizite Klarstellung, dass bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung keine Rückkaufswerte anzugeben sind, enthält ein Zurückweisungsbeschluss des BGH (Beschl. v. 3.6.2020 – IV ZR 253/19). Der Senat bestätigt damit die Rechtsauffassung des OLG Köln (Beschl. v. 21.8.2019 – 20 U 159/19 m.w.N.), wonach die Angabe detaillierter Rückkaufswerte bei fondsgebundenen Renten- oder Lebensversicherungen nicht verlangt werden kann. Denn bei dieser Versicherungsform sei der künftige Verlauf abhängig von der Fondsentwicklung und damit schlechterdings nicht prognostizierbar. Etwaige konkretere Angaben des Versicherers hätten notwendig einen vollkommen unverbindlichen Charakter, so dass dem Versicherungsnehmer kein Informationsgewinn verschafft werden könnte.

Eine weitere höchstrichterliche Entscheidung erging schließlich zur Frage der Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. allein durch Zeitablauf. Das OLG München (Urt. v. 31.8.2018 – 25 U 607/18) hatte entschieden, dass bei einer drucktechnisch nicht ausreichend hervorgehobenen, im Übrigen aber ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung die Berufung auf das Widerspruchsrecht rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Rentenversicherungsvertrag über 15 Jahre durchgeführt, sodann gekündigt und abgewickelt wurde sowie der Versicherungsnehmer dann weitere 5 Jahre bis zur Erklärung des Widerspruchs abgewartet hat. Denn hier sei offensichtliches Ziel des Widerspruchs eine bloße Renditeerhöhung. Diese Entscheidung hat der BGH (Beschl. v. 3.6.2020 – IV ZR 214/18) unter Zurückweisung der erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt. Auch das deckt sich mit der bereits erwähnten jüngsten Entscheidung des EuGH vom 19.12.2019 (VersR 2020, 341). Denn dort hat der EuGH zutreffend betont, dass ein zeitlich unbefristetes Vertragslösungsrecht nicht dazu da ist, die Rendite zu maximieren und auf eine möglichst hohen Auszahlungsbetrag zu „spekulieren“.

Das stimmt alles zuversichtlich für die vom BGH demnächst zur Entscheidung anstehenden Fragen wie z.B. der nach Begründung eines ewigen Widerspruchsrechts wegen unvollständiger Verbraucherinformationen, beispielsweise bei einem fehlenden Hinweis auf den Sicherungsfonds. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend – zuletzt z.B. durch OLG Köln (Urt. v. 31.7.2020 – 20 U 82/20) entgegen OLG Karlsruhe (WM 2020, 149) – zu Recht verneint worden.