Ein aktuelles Urteil des EuGH lenkt den Blick auf die vieldiskutierte Frage, inwiefern der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung zugleich als Versicherungsvermittler anzusehen ist. Bislang herrscht in Deutschland die Ansicht vor, dass bei der echten Gruppenversicherung, bei der die „Gruppenspitze“ Versicherungsnehmerin des mit dem Versicherer geschlossenen Gruppenvertrags ist und die Beitretenden die Stellung von Versicherten haben, der Versicherungsnehmer grundsätzlich kein Vermittler ist. Freilich hat der BGH (VersR 2021, 116) im Jahr 2020 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Sichtweise mit den europarechtlichen Vorgaben der Vermittlerrichtlinie (IMD) und der Vertriebsrichtlinie (IDD) vereinbar ist. Zugrunde lag die Unterlassungsklage eines Verbraucherverbands, der die Tätigkeit des Versicherungsnehmers einer Gruppen-Rückholkostenversicherung wegen fehlender Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung nach § 34d Abs. 1 S. 1 GewO wettbewerbsrechtlich beanstandete.
Noch bevor über die Vorlage des BGH entschieden ist, hat der EuGH nun mit Urteil vom 24.2.2022 (C-143/20 und C-213/20) in einem polnischen Vorlageverfahren zu dem Themenkreis Stellung bezogen (BeckRS 2022, 2621). Hier ging es um fondsgebundene Lebensversicherungen, die als echte Gruppenversicherungen und nicht lediglich als Rahmenverträge (unechte Gruppenversicherungen) abgeschlossen wurden. Allerdings besteht ein womöglich entscheidender Unterschied zur BGH-Vorlage darin, dass der Versicherte sich im Gruppenvertrag verpflichtete, die Prämie an den Versicherer zu zahlen; dies ist jedenfalls eine atypische Gestaltung. Der EuGH (Rz. 86 f.) befand, dass in diesem Fall zwei getrennte Versicherungsverhältnisse vorliegen und dass das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen als Versicherungsvermittler im Sinne der IDD anzusehen ist. Zur Bedeutung des Gruppenvertrags stellte der EuGH (Rz. 81) lediglich fest: „Ob dieser Verbraucher formal auch Partei des genannten Gruppenvertrags zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem als Versicherungsnehmer handelnden Unternehmen wird, ist insoweit unerheblich.“ Man kann in der Tat die Frage aufwerfen, ob es sich angesichts der Prämienzahlungspflicht des Versicherten gegenüber dem Versicherer materiell überhaupt noch um eine echte Gruppenversicherung handelt. Freilich erscheint es inkonsequent, auf ein eigenständiges Versicherungsverhältnis zwischen Versichertem und Versicherer abzuheben, letzterem dann aber nicht die Informationspflicht aufzuerlegen. Insoweit ist das EuGH-Urteil angreifbar.
Die Einordnung des Versicherungsnehmers als Vermittler in dem polnischen Vorlageverfahren hat auch für das deutsche Recht Konsequenzen. So folgert der EuGH aus der Vermittlereigenschaft des Versicherungsnehmers („Gruppenspitze“), dass er die ihm vom Versicherer übermittelten vorvertraglichen Informationen rechtzeitig vor dem Beitritt des Versicherten an letzteren weiterzuleiten habe (Rz. 91, 116). Aus deutscher Sicht bestand bislang lediglich Streit darüber, ob es bei der Gruppenversicherung Aufgabe des Versicherers ist, über den Versicherungsnehmer hinaus auch den jeweils beitretenden Versicherten zu informieren. Überwiegend wurde dies abgelehnt (näher Armbrüster in MünchKomm/VVG, 2. Aufl. 2016, § 7 Rz. 16 f.), und auch der EuGH (Rz. 92) hält den Versicherer dazu nicht für verpflichtet. Die von ihm bejahte Pflicht des Versicherungsnehmers, die Versicherten zu informieren, sieht das deutsche Recht bislang lediglich für die Restschuld-Gruppenversicherung vor (§ 7d S. 1 VVG). Jenseits dieser Spezialregelung, die angesichts des klaren gesetzgeberischen Regelungswillens nicht analogiefähig ist (Rudy in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 7d Rz. 3), kann sich eine Informationspflicht des Versicherungsnehmers allein aus dem Innenverhältnis zum Versicherten ergeben. Aufsichtsrechtlich sieht freilich das BaFin-Rundschreiben 03/2021 (VA) „Hinweise zu echten Gruppenversicherungsverträgen“ vor, dass im Gruppenversicherungsvertrag eine Pflicht des Versicherers oder des Versicherungsnehmers zur Information der Versicherten „im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beitritt“ vorgesehen werden und dass der Versicherer auf die Einhaltung der Pflicht des Versicherungsnehmers zur Weiterleitung der Informationen achten sollte (Nr. 13, 14).
Der EuGH geht nun jedenfalls für die von ihm beurteilte atypische Gestaltung einer Gruppenversicherung deutlich über diese aufsichtsrechtlichen Anforderungen hinaus: Der Versicherungsnehmer muss die nach Art. 36 Abs. 1 der Lebensversicherungs-Richtlinie 2002/83/EG mitzuteilenden Informationen dem Versicherten rechtzeitig vor dessen Beitritt übermitteln. Verstößt er dagegen, soll dies nicht zur Nichtigkeit des Gruppenversicherungsvertrags oder des Beitritts führen, „sofern die im nationalen Recht für die Ausübung des Rechts auf Geltendmachung dieser Mitteilungspflicht vorgesehenen Verfahrensvorschriften nicht geeignet sind, die Wirksamkeit dieses Rechts dadurch in Frage zu stellen, dass sie den Verbraucher davon abhalten, es auszuüben“ (Rz. 126). Das Gericht betont insoweit die herausragende Bedeutung der vorvertraglichen Informationspflichten und das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile).
Was folgt daraus für das deutsche Recht? Das vom EuGH gefundene Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer zur Information verpflichtet ist, lässt sich de lege lata jedenfalls nicht ohne Weiteres auf den Gedanken des Gestaltungsmissbrauchs (vgl. dazu LG Erfurt, BeckRS 2013, 201446 Rz. 19 f.) stützen. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 Abs. 1 VVG, der allein den Versicherer als Pflichtadressaten benennt, oder von § 7d S. 1 VVG, der ausschließlich die Restschuldversicherung betrifft und überdies erst seit dem 23.2.2018 gilt, begegnet Bedenken. Näher liegt es, dass der Gesetzgeber tätig werden muss, indem er § 7d S. 1 VVG jedenfalls hinsichtlich der Informationspflicht auf die echte Gruppen-Lebensversicherung (und womöglich auf weitere Zweige) erstreckt. Sobald der EuGH über die BGH-Vorlage entschieden hat, wird sich die Reichweite der gebotenen Anpassung besser abschätzen lassen.
Auch für die dem Vorlageverfahren des BGH zugrunde liegende wettbewerbsrechtliche Thematik hat das Urteil des EuGH Konsequenzen. Ist die „Gruppenspitze“ als Versicherungsvermittlerin einzustufen, so bedarf sie nach § 34d Abs. 1 S. 1 GewO einer behördliche Erlaubnis. Fehlt diese, handelt der Vermittler ordnungswidrig (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 k GewO). Allerdings betrifft § 34d Abs. 1 S. 1 GewO ausdrücklich die Vermittlung des Abschlusses von Versicherungsverträgen. Wer einem Gruppenversicherungsvertrag beitritt, schließt indessen nach dem bisherigen deutschen Verständnis keinen Versicherungsvertrag (BGH, VersR 2021, 118 Rz. 25). Das verfassungsrechtliche Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) dürfte daher angesichts des Regelungswortlauts einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit entgegenstehen.