EuGH: Nicht alle in der Akte einer Finanzaufsichtsbehörde enthaltenen Informationen sind zwangsläufig vertraulich

Der EuGH hat entschieden, dass Informationen, bei denen es sich möglicherweise um Geschäftsgeheimnisse gehandelt hat, im Allgemeinen ihren vertraulichen Charakter verlieren , wenn sie mindestens fünf Jahre alt sind.

Herr Ewald Baumeister gehört zu den durch die Tätigkeit der deutschen Gesellschaft Phoenix Kapitaldienst, deren Geschäftsmodell auf einem betrügerischen Schneeballsystem beruhte, geschädigten Anlegern. Im Jahr 2005 wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen von Phoenix eröffnet. Zugleich wurde die Gesellschaft aufgelöst und wird seitdem gerichtlich abgewickelt. Herr Baumeister verlangte bei der BaFin Zugang zu bestimmten – Phoenix betreffenden – Unterlagen, u.a. dem Gutachten einer Sonderprüfung, Wirtschaftsprüferberichten, internen Stellungnahmen sowie Berichten und Korrespondenz, die die BaFin im Rahmen ihrer Phoenix betreffenden Aufsichtstätigkeit erhalten oder verfasst hatte. Da die BaFin ihm den Zugang zu diesen Dokumenten verweigerte, rief Herr Baumeister die deutschen Gerichte an.

Das BVerwG (VersR 2016, 511) fragt den Gerichtshof in diesem Kontext nach der Tragweite der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente. Diese verpflichtet die zuständigen Behörden zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und berechtigt sie nur in den in der Richtlinie abschließend aufgezählten Fällen zur Weitergabe der vertraulichen Informationen, die sie erhalten haben.

Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nicht alle Informationen, die das überwachte Unternehmen betreffen und von ihm an die zuständige Behörde übermittelt wurden, und auch nicht alle in der Überwachungsakte enthaltenen Äußerungen dieser Behörde (einschließlich ihrer Korrespondenz mit anderen Stellen) ohne weitere Voraussetzungen vertrauliche Informationen darstellen, die von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gedeckt sind.

Als vertraulich einzustufen sind Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind und bei deren Weitergabe die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen der Person, die sie geliefert hat, oder der Interessen Dritter oder des ordnungsgemäßen Funktionierens des durch die Richtlinie geschaffenen Systems zur Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen bestünde.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass Informationen, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, im Allgemeinen ihren vertraulichen Charakter verlieren. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, nachweist, dass die Informationen trotz ihres Alters immer noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen wirtschaftlichen Stellung oder der von betroffenen Dritten sind. Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für Informationen, deren Vertraulichkeit aus anderen Gründen als ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Stellung der fraglichen Unternehmen gerechtfertigt sein könnte, z.B. Informationen über aufsichtsrechtliche Überwachungsmethoden und -strategien.

Überdies stellt der Gerichtshof fest, dass unter das allgemeine Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen in der Richtlinie die Informationen fallen, die bei der Prüfung des Zugangsantrags als „vertraulich“ einzustufen sind, unabhängig davon, wie sie zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung an die zuständigen Behörden einzustufen waren.

Schließlich hebt der Gerichtshof hervor, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, den Schutz vor der Weitergabe auf den gesamten Inhalt der Überwachungsakten der zuständigen Behörden zu erstrecken oder umgekehrt den Zugang zu Informationen zu gestatten, die den zuständigen Behörden vorliegen und keine vertraulichen Informationen im Sinne der Richtlinie sind. Die Richtlinie soll die zuständigen Behörden nämlich nur dazu verpflichten, die Weitergabe vertraulicher Informationen grundsätzlich zu verweigern.

Im vorliegenden Fall ist es Sache des BVerwG, zu prüfen, ob bei den der BaFin vorliegenden Informationen, deren Weitergabe Herr Baumeister beantragt hat, die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses eingreift, die diese Behörde nach der Richtlinie trifft.

EuGH, Urteil vom 19.6.2018 (Rs C-15/16) [BaFin ./. Ewald Baumeister]

(Pressemitteilung des EuGH Nr. 86 vom 19.6.2018)