OLG Hamm: Ungewollt schwanger – Gynäkologe haftet nicht

Ein niedriger Anti-Müller-Hormon-Wert (AMH-Wert) bewahrt eine über 40 Jahre alte Frau nicht vor einer Schwangerschaft. Weist ein Gynäkologe die Frau auf die begrenzte Aussagekraft des AMH-Werts hin und unterlässt die Frau nach Bekanntwerden eines AMH-Werts von weniger als 0,1 die weitere Empfängnisverhütung, haftet der Gynäkologe nicht für eine spätere – ungewollte – Schwangerschaft der Frau. Das hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Bielefeld bestätigt.

Die Kl. ist Mutter dreier vor dem Jahr 2000 geborener Kinder. Von ortsansässigen Gynäkologen verlangt sie Schadensersatz aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft. Nach dieser brachte die Kl. im Alter von 45 Jahren Ende des Jahres 2012 einen weiteren Sohn zur Welt.

Nachdem die Kl. über zehn Jahre die Antibabypille eingenommen hatte, begehrte sie im Frühjahr 2012 die Bestimmung des AMH-Werts, wobei die Parteien darüber streiten, ob die Kl. über die Bedeutung des Werts zutreffend aufgeklärt wurde. Einige Wochen nach dem Gespräch über den Test erfuhr die Kl., dass ihr AMH-Wert unter 0,1 liege und entschloss sich dazu, die Antibabypille abzusetzen. Eine andere Art der Empfängnisverhütung unterließ sie und wurde in der Folgezeit – ungewollt – schwanger.

Für die aus Sicht der Kl. behandlungsfehlerhaft eingetretene Schwangerschaft verlangt sie von den bekl. Gynäkologen ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro und Ersatz von Unterhaltsschäden bis zur Volljährigkeit des Kindes.

Die Schadensersatzklage hatte keinen Erfolg. Ebenso wie das LG konnte auch der 26. Zivilsenat des OLG Hamm keine fehlerhafte Behandlung der Kl. durch die bekl. Gynäkologen feststellen.

Über die Aussagekraft des AMH-Werts sei die Kl. nicht falsch informiert worden, so der Senat. Ausweislich der glaubhaften Aufzeichnungen in den Behandlungsunter-lagen der Bekl. sei die Kl. bei dem ersten Gespräch über den AMH-Test von dem sie behandelnden Gynäkologen auch auf die Unsicherheit des Tests und die Notwendigkeit weiterer Verhütung hingewiesen worden.

Dass ihr zu einem späteren Zeitpunkt – bei der Bekanntgabe ihres AMH-Werts – von einer Mitarbeiterin der Bekl. fälschlicherweise mitgeteilt worden sei, dass sie bei dem festgestellten Wert nicht mehr verhüten müsse, sei nicht bewiesen.

Die bekl. Gynäkologen seien auch nicht verpflichtet gewesen, die Kl. von sich aus nach dem Erhalt des AMH-Werts (erneut) über dessen geringen Aussagewert und das Erfordernis weiterer Verhütung aufzuklären. Ihre Aufklärung in dem ersten Gespräch sei ausreichend gewesen. In dieser Situation sei von einem behandelnden Gynäkologen kein weiteres eigenständiges Nachfragen bei einer Patientin zu verlangen. Die Entscheidung, ob sie weiterhin Verhütung betreiben oder diese unterlassen wolle, habe allein der Kl. oblegen. Es sei daher ihre Sache gewesen, dem behandelnden Gynäkologen von sich aus gegebenenfalls weitere Fragen zu stellen.

OLG Hamm, Urteil vom 23.2.2018 (26 U 91/17)

(Pressemitteilung des OLG Hamm vom 19.6.2018)