OLG Hamm beurteilt „rechts vor links“ im Straßenrondell

Ein Radfahrer, der eine in Form eines Rondells ausgestaltete Straßenkreuzung überquert, bei der die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ gilt, verletzt die Vorfahrt eines von rechts in das Rondell einfahrenden Kfz, wenn nicht sichergestellt ist, dass er das Rondell vor dem Kfz räumen kann. Wird er vom Fahrer des Kfz übersehen, kann diesen ein Mitverschulden an dem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge treffen. Das hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Münster am 17.1.2017 entschieden.

Tatbestand:

Im August 2014 näherte sich die seinerzeit 78 Jahre alte Kl. mit ihrem Fahrrad einer Kreuzung. Die Kreuzung ist in Form eines Rondells angelegt. Es gilt die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Kl. kam aus der W.-Straße und beabsichtigte, das Rondell an der gegenüberliegenden Einmündung zu verlassen, es somit quasi in Geradeausrichtung zu überqueren. Aus der aus Sicht der Kl. rechts gelegenen K-Straße näherte sich die Bekl. mit ihrem Pkw. Beide Fahrzeugführerinnen fuhren in das Rondell und verunfallten. Zwischen den Einmündungen der K.-Straße und der S.-Straße prallte das Fahrrad der Kl. auf die vordere linke Ecke des Fahrzeugs der Bekl.
Die Klägerin zog sich einen schwerwiegenden Bruch des Schienbeinkopfs zu, der aufgrund eines komplikationsreichen Heilungsverlaufs mehrfach operativ versorgt werden musste. Von der Bekl. und dem Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs verlangte sie Schadensersatz. Unter Anrechnung vorprozessual gezahlter 4000 Euro begehrte sie Ersatz eines materiellen Schadens, insbesondere einen Haushaltsführungsschadens, von noch ca. 4000 Euro und ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro.
Das LG hat der Schadensersatzklage überwiegend stattgegeben und der Klägerin ein 20%-iges Mitverschulden zugerechnet. Auf die Berufung der Bekl. hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm den Mitverschuldensanteil der Kl. mit 60 % bemessen und der Klage – aufgrund der weiter aufklärungsbedürftigen Schadenshöhe – hinsichtlich des Schmerzensgeldes und des Haushaltsführungsschadens dem Grunde nach mit einer 40%-igen Haftungsquote der Bekl. stattgegeben.

Aus den Gründen:

In dem Verkehrsunfall habe sich, so der Senat, die durch ein Verschulden erhöhte Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Bekl., aber auch ein erhebliches Mitverschulden der Kl. ausgewirkt.
Der Kl. sei eine Vorfahrtsverletzung anzulasten. Als sie in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, habe sie das Fahrzeug der Bekl. als bevorrechtigtes Fahrzeug erkennen können und auch erkannt. Den Vorrang dieses Fahrzeugs habe sie beachten und es vor dem Überqueren der Kreuzung passieren lassen müssen. Vor dem Fahrzeug der Bekl. habe die Kl. nur dann in die Kreuzung einfahren dürfen, wenn sichergestellt gewesen sei, dass sie die Kreuzung auch vor der vorfahrtsberechtigten Bekl. habe räumen können. Das Unfallereignis zeige, dass dies im vorliegenden Fall nicht gewährleistet gewesen sei. Dass der Bekl. ebenfalls ein Verkehrsverstoß anzulasten sei, entlaste die Kl. nicht, weil ein vorschriftswidriges Verhalten des Vorfahrtberechtigten sein Vorfahrtsrecht grundsätzlich nicht entfallen lasse.

Auch die Bekl. treffe ein gravierendes Verschulden an der Entstehung des Unfalls. Beim Einfahren in das Rondell habe sie das bereits in das Rondell eingefahrene Fahrrad der Kl. offensichtlich übersehen und daher ihre allgemeine Rücksichtnahmepflicht verletzt. Hätte sie auf die Kl. geachtet, wäre der Unfall für sie dadurch zu vermeiden gewesen, dass sie ihrer Einfahrt in das Rondell zurückgestellt hätte. Sie sei zwar bevorrechtigt gewesen. Dies gebe ihr aber nicht das Recht, ihr erkennbar durch die Kl. verletztes Vorfahrtsrecht ohne Rücksicht auf die Kl. durchzusetzen.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge an der Entstehung des Unfalls rechtfertigten eine Haftungsquote von 60 % zulasten der Kl. und von 40 % zulasten der Bekl.

OLG Hamm, Urteil vom 17.1.2017 (9 U 22/16)

(Pressemitteilung des OLG Hamm vom 16.3.2017)