Rezension: Berufung im Zivilprozess

Wenngleich die Berufung in Zivilsachen die einzige Möglichkeit der „Fehlerkorrektur“ gegen ein als unrichtig empfundenes erstinstanzliches Urteil ist, bestehen doch bei den Beteiligten oftmals Hemmnisse und Hürden: Während aus Sicht des Rechtsanwalts die (weitgehend starren) Fristen und vor allem das (sehr restriktive) Novenrecht haftungsträchtige Fallstricke bieten, hat die überwiegende Zahl der Richter, wenn nicht ohnehin am OLG tätig, nur gelegentlich und ausnahmsweise, etwa im Rahmen einer zweitinstanzlich tätigen Kammer am LG oder während der als „drittes Staatsexamen“ verschrienen Erprobung, mit Berufungssachen zu tun. Angesichts der Vielzahl der formalen und prozessualen Besonderheiten ist hier guter Rat teuer. Oder eben nicht, denn für einen mit Blick auf den Umfang des Werks noch moderaten Betrag von 128 Euro stellen die Herausgeber – mitsamt den Autoren sämtlich ausgewiesene Kenner der Materie, ganz überwiegend aus der Praxis – die Berufung im Zivilprozess umfassend dar.
Das Werk – und dies ist fast als „Alleinstellungsmerkmal“ zu nennen – schafft den Spagat zwischen den Anforderungen anwaltlicher und richterlicher Praxis, gerade auch mit Blick auf Hinweise, Formulare und Formulierungsmuster. Für alle Beteiligten sinnvoll ist die Gliederung des Buches, das – nach einer allgemeinen Darstellung des Berufungsrechtsmittels und der anwaltlichen und richterlichen Tätigkeit im Berufungsverfahren – sodann im Wesentlichen in der Kapitelübersicht den Gang des Berufungsverfahrens nachzeichnet, ausgehend von der Entscheidung erster Instanz (Kap. 4, mit wichtigen Hinweisen zu den oftmals auch in der Sache „kriegsentscheidenden“ Begleitanträgen der Urteilsberichtigung und -ergänzung), über die Zulässigkeit der Berufung, der Berufungsbegründung, der Antragstellung (inklusive einer für den Rechtsanwalt sehr wertvollen Übersicht der Vollstreckungsschutzanträge [Kap. 10]), der Berufungserwiderung, bis hin zur Beschlussverwerfung, der Berufungsverhandlung, dem berufungsgerichtlichen Urteil und Fragen der Revision. Die Darstellung wird abgerundet durch eine Erläuterung der Kosten, der Drittbeteiligung in der Berufung, dem einstweiligen Rechtsschutz und – sogar – den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahrens (Kap. 24).
Durchweg erfreulich ist die hohe Praxisrelevanz der Darstellung, die an geeigneter Stelle Praxistipps gibt, ausführlich die begleitende rechtsanwaltliche Beratung und den Kontakt zum Mandanten thematisiert, z. B. auch – exemplarisch genannt – das Beschlussverfahren des § 522 ZPO mit Statistiken zur bundesweiten Handhabung „garniert“ und auch mit kritischen Worten nicht spart. Für die anwaltliche wie richterliche Praxis (hier gerade auch des Erprobungsrichters) unverzichtbar sind die vielen Antrags- bzw. Tenorierungsmuster. Auch ganze Musterberufungen, -begründungen und -entscheidungen sind in dem Werk enthalten, wobei die Handhabung allenfalls noch dadurch erleichtert werden könnte, dass diese in der Gliederung besser hervorgehoben und dadurch leichter auffindbar werden. Hier hätte sich der Nutzer auch z. B. eine gesonderte Gliederung der „Mustertexte“ gewünscht. Auch – aber hier, das sei betont, handelt es sich erneut um „Jammern auf hohem Niveau“ – hätte man sich zur Handreichung an den Erprobungsrichter eine umfangreichere Darstellung von Tenor und (insbesondere) Kostenentscheidung der Berufungsentscheidung (etwa bei Berufung und Anschlussberufung, Teilberufung, Beschränkung/Änderung der Berufungsanträge, Teilerledigungen usw.) gewünscht. Die Darstellung der Kosten im Werk hat (naturgemäß) einen gewissen Schwerpunkt im anwaltlichen Gebührenrecht. Zuletzt ist Geschmackssache, ob man in Zeiten nahezu ubiquitären Internetzugangs wirklich noch mehr als 30 S. auf die Wiedergabe von Gesetzen verwenden muss, zumal es sich nicht um „Orchideentexte“ handelt, sondern um die dem Leser in der Regel zur Verfügung stehenden Prozessordnungen (ZPO/GVG/GKG/ArbGG/RVG). Aber das ist – wie gesagt – Geschmackssache und mindert ins keiner Weise den Charakter des Werks, seinem Titel entsprechend die „Berufung im Zivilprozess“ in solcher Tiefe und zugleich Praxisnähe darzustellen, dass der sicherste Weg für jeden zweitinstanzlich Tätigen der Kauf dieses Handbuchs sein sollte.
Der Rezensent, Dr. Jan Luckey, LL.M. (Cantab.), LL.M. (Nürtingen), ist Richter am OLG Köln.

Berufung im Zivilprozess
Von Karl Eichele, Bernd Hirtz und Rainer Oberheim (Hrsg.)
(Verlag Luchterhand, Neuwied, 5. Aufl. 2017, 827 S., 128 Euro, ISBN 978-3-472-08951-3, 128 Euro)