Rezension: Die Versicherung klinischer Arzneimittel- und Medizinprodukteprüfungen

Die im Wintersemester 2014/2015 als Dissertation angenommene, in der hier besprochenen Fassung mit einem Vorwort vom März 2015 veröffentlichte Arbeit von Christoph Maaßen betrifft im Wesentlichen (ab S. 85 ff.) die nach dem AMG und dem MPG vorgeschriebenen Probandenversicherungen. Der Verfasser geht bei der Darstellung der von ihm berücksichtigten Rechtsvorschriften in zeitlicher Reihenfolge – abgesehen von am Rande liegenden Normen – zuletzt auf die Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 4. 2001 ein. Er befasst sich in seinen wissenschaftlichen Betrachtungen also nicht mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 4. 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der genannten Richtlinie 2001/20/EG. Diese jüngste Verordnung wird im vorletzten Absatz der Arbeit in fünf Sätzen nur erwähnt. Sie ist nach Art. 1 i. V. m. Art. 99 am 20. Tag seit ihrer Veröffentlichung im ABlEU als in der Bundesrepublik unmittelbar geltendes Recht in Kraft getreten, wenn auch die Geltung in wesentlichen Teilen bis zur amtlichen Bekanntmachung der Funktionsfähigkeit eines EU-Portals und einer EU-Datenbank hinausgeschoben ist. Wegen der Vorlage an der Schwelle eines großen Umbruchs des relevanten Rechts bleibt die Arbeit in großen Teilen im historischen Raum.
Die Bedeutung der Dissertation liegt auch deshalb innerhalb der Grenzen des Herkömmlichen, weil der Verfasser – dem allgemeinen Trend in Politik und Wissenschaft folgend – nur auf die deliktsrechtliche Basis der Ersatzansprüche eingeht, auf die der Proband im Schadensfall seine Ansprüche stützen kann. Er erörtert nicht das im BGB eingebettete vertragsrechtliche Schadensrecht des Probanden. Unerwähnt bleibt der – in der Wissenschaft nicht mehr in Zweifel gezogene, aber inhaltlich nicht genügend ausgelotete – Probandenvertrag, aufgrund dessen sich der Proband gegenüber dem Arzt zur Teilnahme an der Studie hergibt und der Arzt zur besonderen Fürsorge verpflichtet wird. Der Verfasser zeigt auf, es liege primär im Verantwortungsbereich des Sponsors, dass die Probandenversicherung den Vorgaben des AMG und des MPG entspreche (S. 92). Es bleibt aber unerwähnt, dass vertragsrechtlich in erster Linie der Arzt, der den Probanden zur Teilnahme an der Studie gewinnt, ihm für die Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben verantwortlich ist, er ihm also auch bei etwaigen Versicherungslücken haftet (auf S. 212 meint der Verfasser dagegen, in vielen Fällen sei für den Probanden kein Schadensersatzpflichtiger vorhanden).
So ist es unbefriedigend, dass der Verfasser auf Schäden, die auf Vertragsverletzungshandlungen des Arztes, besonders auf Aufklärungsmängeln beruhen, nicht eingeht. Bei Schadensfällen im Zusammenhang mit Studien wird in Zukunft die Verpflichtung zur Rechtsaufklärung nach Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16. 4. 2014 im Mittelpunkt etwaiger Probandenprozesse stehen. Die Ärzte werden kaum in der Lage sein, die geforderte Rechtsaufklärung fehlerfrei zu bewerkstelligen. Die korrekte Aufklärung ist insbesondere dann nicht möglich, wenn das Recht so probandenfeindlich ist, wie es vom Verfasser dargestellt wird. Kein Proband sollte sich noch auf die Teilnahme an einer Studie einlassen, wenn der Arzt ihm im Aufklärungsgespräch bewusst gemacht hat, dass ihn im Schadensfall bei dem Bemühen, auf die Probandenversicherung zuzugreifen, die volle Darlegungs- und Beweislast trifft. Muss er doch nicht nur den Schadensverlauf von einem konkreten Ereignis bis hin zum Schaden darlegen und beweisen, sondern zusätzlich die Adäquanz des Schadensverlaufs und, folgt man den Ausführungen des Verfassers, letztlich noch die Verwirklichung eines prüfungsspezifischen Risikos (vgl. zu den vom Verfasser vertretenen Anforderungen an die Kausalität S. 113 ff., vor allem S. 115 „Zurechnung über das spezifische Risiko“). Die Ausführungen zum prüfungsspezifischen Risiko lassen übrigens in sich nicht erkennen, ob nach Auffassung des Verfassers Studienschäden, die im Zusammenhang mit einer mangelhaften Aufklärung entstanden sind, aus der Probandenversicherung zu ersetzen sind.
Man wird jedoch dem Verfasser zugutehalten müssen, dass die Themenstellung nicht auf das Probandenrecht insgesamt, sondern auf das Segment der Probandenversicherung ausgerichtet war. Die Frage, welche Schadensersatzansprüche aus der Teilnahme an Arzneimittel- und Medizinproduktestudien versichert sind, ergibt gerade aus der strengen Auslegung, die er dem Recht gibt, eine durchaus zu respektierende Antwort, wenn diese auch für die Probanden unbefriedigend und für seine Vertragspartner, die Ärzte, brandgefährlich ist.
Die Rechtsnormen des öffentlich-rechtlichen Arzneimittelrechts und in dessen Schatten des Medizinprodukterechts spiegeln letztlich das Gefälle wider, das zwischen der gewinnorientierten Industrie und den Probanden herrscht. Bei den Probanden, die in Studien der Phase I eher aus den schwächeren Kreisen der Bevölkerung gewonnen werden, ist jeder für sich ein rechtlich nicht orientierter Einzelkämpfer. Für ihn gibt es keine politischen Fürsprecher, geschweige denn eine Interessenvertretung. Auch die Wissenschaft setzt sich noch nicht genügend für eine Stärkung seines Rechts ein. Dass daraus zulasten der Probanden ein ungerechtes Recht entstehen kann und aufrechterhalten bleibt, rd. 70 Jahre nach den Nürnberger Ärzteprozessen, stellt den zur Verantwortung berufenen Politikern und Juristen der älteren Generation ein Zeugnis aus, nicht dem Verfasser als einem jüngeren nüchternen Juristen, der die Gegebenheiten hervorkehrt, wenn er auch über die Konsequenzen seiner Ausführungen nicht immer im Bilde sein mag.
Das tritt z. B. hervor, wenn der Verfasser schildert, der Versicherer könne gegenüber dem VN, im Regelfall dem Sponsor, bei unrichtigen Angaben zu den gefahrerheblichen Umständen gem. Nr. 4.1.2 AVB-Prob vom Versicherungsvertrag zurücktreten, und zwar mit der Folge nach Nr. 4.1.2 Abs. 3 AVB-Prob, dass dann kein Versicherungsschutz bestehe (S. 181), dies bei einer Beweislastumkehr, nämlich einer vereinbarten Beweislastregelung nach Nr. 4.1.2 Abs. 2 AVB-Prob, bei der sich der VN von einem grob fahrlässigen Verschulden entlasten muss. Wenn das Recht diesen Inhalt hat, dass nämlich der Proband aufgrund einer Auseinandersetzung zwischen dem Sponsor und dem Versicherer um seinen Versicherungsschutz gebracht werden kann, wovon hier ausgegangen werden soll, dann darf in Zukunft keine Ethikkommission den Probanden in einem solchen Risiko zurücklassen. Zumindest muss für jede Studie durch eine klare Verpflichtungserklärung des Versicherers mit Wirkung zugunsten eines jeden Probanden sichergestellt sein, dass der in die Studie aufgenommene Proband auch im Fall eines Rücktritts versichert bleibt. Die Mitglieder der Ethikkommissionen sollten sich mit der Argumentation des Verfassers vertraut machen und sich dabei bewusst sein, dass der Proband neben ihnen keinen anderen behördlichen Wächter über seine Rechte hat, wenn nicht der Bundesgesetzgeber das öffentlich-rechtliche Probandenrecht stärkt und zusätzlich das Bundesamt für Arzneimittel in die Pflicht nimmt.
Die Risiken des Probanden im Hinblick auf einen ausreichenden Versicherungsschutz sind z. B. auch zu erkennen, wenn die Nr. 3.1.1 Abs. 2 AVB-Prob zum Tragen kommt, d. h., wenn sich der Proband auf die mit der Versicherung vereinbarte Deckungssumme die Leistungen aus einer Sozialversicherung, von einem Krankenversicherer oder von einem Verpflichteten aus gesetzlicher Lohn- oder Gehaltsfortzahlung anrechnen lassen muss. Ihm steht dann die Versicherungssumme für seine Schäden aus der Minderung seiner Erwerbsaussichten nicht mehr im vollen Umfang zur Verfügung (S. 212).
Das Resümee, das der Verfasser (S. 227) zieht, zeigt, dass die Probandenversicherung in erster Linie diejenigen schützt, die aus anderen gesetzlichen und vertraglichen Regeln an den Probanden leisten müssen, nämlich die Krankenversicherer und die Sozialversicherer. Sind diese befriedigt, kann der Proband gegebenenfalls noch (Rest-)Ansprüche geltend machen.
Es ist ein Lichtblick, dass der Verfasser den Gesetzgeber zur Ausweitung der Versicherungspflicht auf die immateriellen Schäden in der Pflicht sieht (S. 177); die Verpflichtung zur Versicherung der Wege scheitert, folgt man dem Verfasser in seinen Ausführungen zum „spezifischen Risiko“ (S 121). Diese erscheinen allerdings gekünstelt, weil der Proband im Kreis der vielen Personen, die sich mit seinem Körper mit dem Ziel befassen, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, wahrscheinlich der einzige ist, der solch einen Schutz nicht erfährt, auch wenn er als Schüler, Student oder Arbeitnehmer von geschützten Wegen abweicht, um zum Prüfungslabor zu gelangen.
Nicht aber der Überbringer einer solchen Nachricht über ein böses Recht ist zu schelten. Die Ethikkommissionen werden durch die nüchternen Darlegungen des Rechts in der Bewertung aller Studien zur Verantwortung gerufen, vor allem aber auch die Gesetzgebungsinstanzen. Diese haben seit dem Mahnruf im Nürnberger Kodex von 1946/47 für die Probanden, die Schwächsten im Zusammenspiel der Industrie, der Ärzte und der Probanden, kein Recht geschaffen, das dem Gedanken eines fairen Interessenausgleichs gerecht wird. Der Zusammenfassung der Arbeit, die Probandenversicherung biete eine recht umfassende Absicherung gegen Schäden aus klinischen Studien, kann nicht in allen Punkten zugestimmt werden. Dies verbietet sich, weil der Proband, dessen Recht ohnehin weitgehend vernachlässigt ist, durch die derzeitig angebotenen Probandenversicherungen aufgrund verfahrensrechtlicher Regelungen, ferner durch Ausschlüsse, Abschöpfungen und Eingrenzungen, leicht um sein mageres Recht gebracht werden kann. Aus Art. 29 Abs. 2 a ii der zitierten jüngsten Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16. 4. 2014 und der daraus erzwungenen Aufklärung über das schlechte Recht der Probanden eröffnet sich ein Weg zum Besseren. Opfer des Umbruchs werden die Ärzte sein, die der persönlichen Aufklärungsverpflichtung nicht gerecht werden können und daraus wegen der Aufklärungsmängel leicht in Regress genommen werden können.
Der Rezensent, Ernst Jürgen Kratz, ist Vizepräsident des OLG Düsseldorf a. D.

Die Versicherung klinischer Arzneimittel- und Medizinprodukteprüfungen
Von Christoph Maaßen
(Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. 2015, 251 S., kart., DIN A5, ISBN 978-3-631-66460-5, 61,95 Euro; Diss. 2014, Münster [West­fa­len])

(abgedr. in VersR 2016, 1356)