Ausgewählte neuere Rechtsprechung in der gewerblichen und industriellen Versicherung 2023/2024

von Dr. Christian Schneider und Dr. Thomas Fausten

Im Folgenden werden für den Bereich der gewerblichen und industriellen Versicherung die für die Praxis bedeutsamen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen aus dem Berichtszeitraum Juli 2023 bis Juli 2024 vorgestellt und erläutert. Beachtung finden ferner Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, des österreichischen OGH sowie Judikate aus anderen europäischen Ländern, soweit diese für das lokale Risikoumfeld eine Relevanz entfalten. 

Die Palette der vorgestellten Entscheidungen ist recht breit gefächert, wobei im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum die Zahl der Judikate mit Bezügen zu Covid-19-getriggerten Betriebsschließungsversicherungen naturgemäß abnahm. Im Bereich der Diesel-Klagen ergab sich nach einem Grundsatzurteil des EuGH eine Richtungsänderung in der Rechtsprechung des BGH in Hinblick auf mit sog. Thermofenstern ausgerüstete Kraftfahrzeuge. Als bedeutsam erweisen sich ferner ein Urteil des OLG Köln zur D&O-Versicherung, eines des LG Tübingen zur Cyber-Versicherung sowie ein Judikat des OGH, der sich zur Serienschadenproblematik in der Berufshaftpflichtversicherung äußerte.

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VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zum Versicherungsaufsichts- und Versicherungsunternehmensrecht

Dr. Jürgen Bürkle, Stuttgart

Die folgende Übersicht behandelt ausgewählte Entscheidungen deutscher und europäischer Gerichte auf dem Gebiet des Versicherungsaufsichts- und Versicherungsunternehmensrechts, die in dem Zeitraum von 2023 bis 2024 (bisher) veröffentlicht wurden.

I. Nationale Rechtsprechung

1. Wirkung einer Zurückverweisung durch das BVerwG

Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zum obligatorischen jährlichen Beschwerdebericht ausländischer Versicherungsunternehmen an die BaFin (BVerwG, Urt. v. 21.4.2021 – 8 C 18.20, VersR 2021, 1214 mit Anm. Bürkle) die Auffassung des VGH Kassel im Hinblick auf die Unionsrechtswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage in § 294 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 298 Abs. 1 VAG nicht geteilt, die Sache aber gleichwohl nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt (kritisch dazu und für eine Vorlagepflicht Dreher, in Dreher, VAG, 14. Aufl. 2024, § 298 Rn. 50). Das BVerwG hat daher nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO das Berufungsurteil aufgehoben und an den VGH Kassel zurückverwiesen, der aufgrund der eingetretenen Erledigung lediglich über die Kosten entscheiden konnte (VGH Kassel, Beschl. v. 28.3.2023 – 5 A 2158/18, VersR 2024, S. 451 mit Anm. Bürkle). In diesem Fall sieht § 144 Abs. 6 VwGO vor, dass das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, bei seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde legen muss. Daher stellte sich für den VGH Kassel die Frage, ob die Tatsacheninstanzen an diese unionsrechtliche Einschätzung des BVerwG gebunden ist, mit der Folge, dass eine EuGH-Vorlage durch den VGH Kassel oder das VG Frankfurt/Main ausgeschlossen wäre.

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VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zum Versicherungsvermittlerrecht

Dieser Beitrag berichtet über acht OLG Urteile zum Versicherungsvermittlerrecht (§§ 59-73 VVG), die im Zeitraum von Dezember 2022 bis November 2023 ergangen sind, sowie ein  LG Urteil aus dem Jahr 2023 mit berufsrechtlichem Hintergrund.

I. Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2 VVG)

  1. Beratungsanlass (§ 61 Abs. 1 S.1 VVG)

Die Beratungspflicht des Versicherungsvertreters nach § 61 Abs. 1 VVG setzt ebenso wie die des Versicherers nach § 6 Abs. 1 VVG einen Beratungsanlass voraus. Das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.10.2023 – 12 U 66/23, VersR 2024, 164; anhängig beim BGH unter AZ. IV ZR 226/23) hat in einer Entscheidung zu einer Gebäudeversicherung einen solchen Beratungsanlass bejaht. Der Kläger hatte das Eigentum am versicherten Grundstück im Scheidungsverfahren von seiner damaligen Ehefrau erhalten. Der geplante Übergang des Gebäudeversicherungsvertrages scheiterte aber an der erforderlichen Mitwirkung der VN, seiner Ehefrau. Diese zahlte die Prämien trotz Mahnung gem. § 38 Abs. 1 VVG nicht. Als ein Wasserschaden eintrat, lehnte der Versicherer wegen des Prämienverzuges die Deckung ab. Der Kläger verlangte vom Versicherer und seinem Versicherungsvertreter als Gesamtschuldnern Schadensersatz in Form der sog. „Quasideckung“. Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg. Das OLG Karlsruhe meinte, die Beklagten hätten zumindest über die Möglichkeit des Neuabschlusses einer zusätzlichen Gebäudeversicherung beraten müssen. Den erforderlichen Beratungsanlass sah das OLG darin, dass sich der Kläger noch vor Eigentumserwerb an den Versicherungsvertreter gewendet hatte und seinen Willen zum Ausdruck brachte, die bestehende Gebäudeversicherung vorzeitig zu übernehmen und ab sofort für die Beitragszahlung aufzukommen. Hierdurch habe er ihm und dem Versicherer deutlich gemacht, dass er den unbedingten Fortbestand des Versicherungsschutzes sichern und den Einfluss der VN, seiner Ehefrau, hierauf nach Möglichkeit ausschließen wollte. Aufgrund dieser Situation habe für die die Beklagten hinreichender Anlass bestanden, den Kläger auf die Möglichkeit zum Abschluss eines eigenen Versicherungsvertrages hinzuweisen.

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VersR REPORT: Aktuelle Rechtsprechung zur Haftpflichtversicherung

I. Allgemeine Haftpflichtversicherung

1. Verjährung

Zur Verjährung des Deckungsanspruchs hat das KG (Hinweisbeschl. v. 13.1.2023 – 6 U 191/21; Zurückweisungsbeschl. v. 31.3.2023 – 6 U 19, VersR 2024, 24) geurteilt, dass die Hemmung der Verjährung durch die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs gem. § 204 BGB lex specialis zu § 203 BGB ist (Hemmung durch Verhandlungen). Im vorliegenden Fall ging es um Haftpflichtansprüche aus dem Jahr 2008, deren Deckung der Versicherer gleich zweimal zurückwies, einmal schon 2009 und dann erneut 2012. Zwischendurch hatte der VN geklagt, das Verfahren war aber zum Ruhen gebracht worden. Die Hemmung der Verjährung durch den Prozess endete dann aber 6 Monate nach dem Beschluss des LG, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, § 204 Abs. 2 S. 3 BGB. Die sodann erneut laufende Verjährungsfrist wurde durch die zwischenzeitlich aufgenommenen Vergleichsverhandlungen nicht erneut durch § 203 BGB ein zweites Mal unterbrochen. Der Kl. habe es selbst in der Hand gehabt, die Verjährung wieder zu unterbrechen, indem er das Verfahren weiterbetrieben hätte.

2. Vorsatz

Ein VN, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer (spastische Lähmung der rechten Seite) in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf mit der Folge, dass sich sein Haftpflichtversicherer auf den Leistungsausschluss des Vorsatzes berufen kann (OLG Dresden, Beschl. v. 29.6.2023 – 4 U 2626/22). Voraussetzung dafür ist bekanntlich, dass der VN nicht nur die Tathandlung vorsätzlich begangen hat, sondern auch die Folgen dieser Tat zumindest billigend in Kauf genommen hat. Das OLG weist zwar darauf hin, dass ein Stoß in den Rücken des Geschädigten „im Regelfall“ eher nicht zu einer schweren Verletzung führen kann; hier aber habe der VN selbst angegeben, er habe gemerkt, dass mit seinem Kontrahenten „etwas nicht in Ordnung“ sei, was eine Bejahung der vorsätzlichen Herbeiführung auch der Handlungsfolgen rechtfertige.

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VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zur Sachversicherung

Im Folgenden werden Urteile des BGH und der OLG – vornehmlich aus dem Jahr 2023 zur Sachversicherung vorgestellt.

I. Betriebsschließungsversicherung

Der BGH hatte im ersten Grundsatzurteil zur Betriebsschließungsversicherung wegen Covid-19 den Versicherungsschutz versagt, wenn in den Bedingungen auf die §§ 6, 7 IfSG Bezug genommen wird, auch wenn im Katalog der Krankheiten und Krankheitserregern der AVB Covid-19 und SARS-CoV 2 nicht erwähnt werden.

In der zweiten Grundsatzentscheidung war kein abgeschlossener namentlich genannter Katalog an Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB enthalten, sondern lediglich eine dynamische Verweisung auf die §§ 6,7 IfSG. Zunächst hält der BGH erneut fest, dass die intrinsische Gefahr des Betriebes keine Voraussetzung für die Deckung ist. Für die in den Bedingungen vorausgesetzte behördliche Anordnung der Schließung des Betriebs des VN genügt danach eine auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erlassene Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung. In der Bezugnahme der Bedingungen auf die in §§ 6 und 7 des IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sieht der BGH keine Beschränkung des Leistungsversprechens auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dies ergebe sich aus der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Wegen des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts der AVB könne der durchschnittliche VN entweder den Schluss ziehen, dass für den Gesetzesstand der §§ 6, 7 IfSG der Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder auch der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls maßgeblich sei. Eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB lehnt der BGH ab.

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