OLG Hamm: 400.000 Euro Schmerzensgeld für gehirngeschädigtes Kind – Gynäkologe haftet für behandlungsfehlerhaften Umgang mit pathologischem CTG

Kommt ein Kind mit einer schweren Hirnschädigung zur Welt, nachdem ein Gynäkologe mit einem pathologischem CTG behandlungsfehlerhaft umgegangen ist, sodass das Kind mit einer Verzögerung von 45 min entbunden wurde, kann dem Kind ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro zustehen. Das hat der 3. Zivilsenat des OLG Hamm am 19.3.2018 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Münster vom 12.3.2015 (111 O 165/11) abgeändert.

Tatbestand:

Der Kl. aus dem westlichen Münsterland kam im November 2008 aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung mit schweren dauerhaften körperlichen und geistigen Schäden zur Welt. Hierfür nimmt er den Bekl., einen im westlichen Münsterland niedergelassenen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, auf Schadensersatz in Anspruch.

Im Rahmen einer zunächst unauffällig verlaufenden Schwangerschaft ließ sich die Mutter des Kl. vom Bekl. untersuchen und behandeln. Ein im November 2008 in der Praxis des Bekl. erstelltes CTG ergab einen auf eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes hinweisenden pathologischen Befund, sodass der Kl. schnellstmöglich hätte entbunden werden müssen. Der Bekl. nahm das CTG allerdings erst nach ca. 50 min zur Kenntnis, führte zur Überprüfung des pathologischen Befundes – was nicht zu beanstanden war – eine Doppler-Ultraschalluntersuchung durch und veranlasste die Mutter sodann, zunächst mit dem eigenen Pkw nach Hause zu fahren, ihre Tasche zu holen und sodann eine Entbindungsklinik in M. aufzusuchen.

Der 3. Zivilsenat des OLG Hamm hat nach umfangreicher, die Feststellungen des LG ergänzender Beweisaufnahme, u.a. mit einem weiteren gynäkologischen Sachverständigengutachten, der Schadensersatzklage des Kindes überwiegend stattgegeben und den Bekl. insbesondere zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 400.000 Euro verurteilt.

Aus den Gründen:

Der Bekl. habe die Mutter des Kl. in der Gesamtschau grob fehlerhaft behandelt, so der 3. Zivilsenat. Der Bekl. habe es versäumt, das CTG innerhalb von spätestens 15 bis 20 min nach Beendigung der Aufzeichnung zur Kenntnis zu nehmen und auf eindeutige Pathologien zu sichten. Insoweit sei von einer nicht fachgerechten Verzögerung von 30 min auszugehen. Aufgrund der Hochrisikokonstellation – stummes (silentes) CTG und im Doppler-Ultraschall erkennbarer umgekehrter Blutfluss (Reverse Flow) in der Nabelschnurarterie – habe er die Mutter zudem schnellstmöglich, gegebenenfalls mithilfe eines Rettungswagens, in eine nahegelegene Entbindungsklinik einweisen müssen und sie nicht zunächst nach Hause entlassen dürfen, damit sie von dort aus selbst die Klinik aufsuche. Außerdem habe es der Bekl. versäumt, der Mutter den Ernst der Lage und die Erforderlichkeit, schnellstmöglich ein Krankenhaus aufzusuchen, hinreichend zu verdeutlichen. Durch diese Versäumnisse sei es zu einem weiteren Zeitverlust von jedenfalls 15 min gekommen.

Aufgrund dieses grob fehlerhaften Behandlungsgeschehens sei der Kl. mit einer Verzögerung von jedenfalls 45 min entbunden worden, was für den bei ihm eingetretenen Hirnschaden jedenfalls mitursächlich geworden sei. Der aufgrund der grob fehlerhaften Behandlung nunmehr dem Bekl. obliegende Beweis dafür, dass der Hirnschaden auch ohne Behandlungsfehler eingetreten wäre, sei nicht erbracht.

Durch die Sauerstoffunterversorgung habe der Kl. einen Hirnschaden erlitten, der mit schwersten Beeinträchtigungen der Kommunikationsfähigkeit, der selbstbestimmten Interaktionsmöglichkeiten sowie seiner körperlichen Beweglichkeit einhergehe. Für diese Schädigung sei ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro zuzusprechen.

OLG Hamm, Urteil vom 19.3.2018 (3 U 63/15)

(Pressemitteilung des OLG Hamm vom 3.5.2018)