VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zur Personenversicherung

Im Folgenden werden Urteile aus dem Jahr 2022, vor allem des BGH, zur Personenversicherung vorgestellt.

I. Lebensversicherung

1. Widerspruchsrecht des VN (§ 5a VVG a.F.)

Eine Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen beschäftigte sich auch im Jahr 2022 mit dem sog. „ewigen“ Widerspruchsrecht des VN nach § 5a VVG a.F. Dabei setzten sich die Gerichte insbesondere mit der neueren Rechtsprechung des EuGH auseinander (zur neueren Rechtsprechung zum ewigen Lösungsrecht des VN bei Verletzung von Belehrungs- und Informationspflichten durch den Versicherer vgl. auch Looschelders, FS Schimikowski, 2023, S. 199 ff.).

a) Das OLG Karlsruhe hat in einem Hinweis- und einem Zurückweisungsbeschluss festgestellt, dass das Widerspruchs- und Rücktrittsrecht des VN nach §§ 5a, 8 Abs. 5 VVG a.F. bei Vorliegen besonders gravierender Umstände verwirkt sein könne (OLG Karlsruhe v. 20.12.2021 und 9.2.2022 – 12 U 80/21, VersR 2022, 352). Bei der Begründung knüpft der Senat an die Rust-Hackner-Rechtsprechung des EuGH (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18, C-479/18, VersR 2020, 341) an. Die neuere Rechtsprechung des EuGH zur Unzulässigkeit einer Einschränkung des Verbraucherwiderrufsrechts bei Kreditverträgen über § 242 BGB (EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20, C-155/20, C-187/20 – Volkswagen Bank, VersR 2022, 1098 Rz. 121 ff.) gibt aus Sicht des Senats keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. b) Das OLG Koblenz hat von der Nichtanwendbarkeit des § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. aufgrund richtlinienkonformer Auslegung abgesehen, weil es sich bei der VN um eine juristische Person handelte (OLG Koblenz v. 10.1.2022 – 10 U 1634/21, VersR 2022, 618). § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. sei nach der EuGH-Rechtsprechung im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung richtlinienkonform dahin gehend zu reduzieren, dass das Widerspruchsrecht des VN fortbestehe, wenn der Versicherungsvertrag von einem Verbraucher abgeschlossen wurde. Diese Voraussetzung sei jedoch im Fall der klagenden Aktiengesellschaft nicht gegeben.

c) Auch nach einem Urteil des OLG Frankfurt löst eine ungenügende Widerspruchsbelehrung in der Lebensversicherung nicht zwingend ein „ewiges Widerspruchsrecht“ aus (OLG Frankfurt v. 9.3.2022 – 7 U 30/21, VersR 2022, 807). Im vorliegenden Fall fehlte eine Angabe zum Schriftformerfordernis. Der Senat sah die unrichtige Erklärung über die Form im Anschluss an das Rust-Hackner-Urteil des EuGH (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18, C-479/18 – Rust-Hackner, VersR 2020, 341). nicht als unrichtige Belehrung an, da sie dem VN nicht die Möglichkeit nahm, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Der Rechtsprechung des EuGH zur Verwirkung im Verbraucherkreditvertragsrecht bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung (EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20, C-155/20, C-187/20 – Volkswagen Bank, VersR 2022, 1098) komme daher vorliegend keine Bedeutung zu.

d) Das OLG Hamm bekräftigte, dass das Urteil des EuGH in der Rechtssache Rust-Hackner (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18, C-479/18, VersR 2020, 341) für die Frage des Bestehens eines ewigen Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. weiterhin maßgeblich sei (OLG Hamm v. 27.7.2022 und 25.8.2022 – 20 U 155/22, VersR 2022, 1215). Dies bedeute, dass nicht jeder Belehrungsfehler den Fristbeginn hindere, vielmehr komme es darauf an, welche tatsächlichen Auswirkungen der Fehler auf die Möglichkeit des VN zur Ausübung des Widerspruchsrechts hatte (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18, C-479/18 – Rust-Hackner, VersR 2020, 341). Dem widerspräche auch nicht die Entscheidung des EuGH vom 9.9.2021 (EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20, C-155/20, C-187/20 – Volkswagen Bank, VersR 2022, 1098), da diese zu der Richtlinie 2008/48/EG ergangen sei, welche einen anderen Regelungsbereich habe und zudem eine Vollharmonisierung vorsähe.

e) Das OLG Brandenburg schloss sich ebenfalls der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Rust-Hackner (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18, C-356/18, C-357/18, VersR 2020, 341) an und stufte den Widerspruch des Kl. als rechtsmissbräuchlich ein (OLG Brandenburg v. 5.7.2022 und 17.8.2022 – 11 U 237/21, VersR 2022, 1571). Des Weiteren grenzte der Senat die Problematik von der Rechtsprechung des EuGH zur Verbraucherkredit-Richtlinie ab (EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20, C-155/20, C187/20 – Volkswagen Bank, VersR 2022, 1098).

2. Bezugsberechtigung

a) Das OLG Saarbrücken hat einen bereicherungsrechtlichen Anspruch des Erben des VN gegen den Bezugsberechtigten auf Herausgabe der nach Eintritt des Versicherungsfalls ausgezahlten Versicherungsleistung aus einer Lebensversicherung verneint (OLG Saarbrücken v. 2.3.2022 – 5 U 64/21, VersR 2022, 810). Der Erbe trage in einem solchen Fall die Beweislast für den fehlenden Rechtsgrund im Valutaverhältnis. Hierfür müsse er die vom Bezugsberechtigten behauptete Übermittlung der Schenkungsofferte durch den Versicherer widerlegen.

b) Das OLG Stuttgart hatte über die Auslegung einer Bezugsrechtsbestimmung bei Vorversterben eines Bezugsberechtigten zu entscheiden (OLG Stuttgart v. 27.1.2022 – 7 U 172/21, VersR 2022, 749). Die VN hatte ihre beiden Töchter zu gleichen Teilen als Bezugsberechtigte bestimmt. Beim Tod der VN war eine Tochter bereits verstorben. Die drei Kinder der verstorbenen Bezugsberechtigten stritten mit der überlebenden Bezugsberechtigten um den Anteil. Der Senat legte die Bezugsrechtsbestimmung dahin aus, dass sie eine Ersatzbezugsrechtsbestimmung zugunsten der Abkömmlinge der vorverstorbenen Tochter enthalte. Deren Anteil sei daher nicht der überlebenden Bezugsberechtigten angewachsen.

3. Gruppenversicherung

Im Rahmen einer Vorabentscheidung äußerte der EuGH sich zu den Anforderungen an die Verbraucherinformation bei Beitritt zu einer fondsgebundenen Gruppenlebensversicherung (EuGH v. 24.2.2022 – C-143/20, C-213/20 – A/O u.a., VersR 2022, 485). Der EuGH hat Art. 36 Abs. 1 RL 2002/83/EG i.V.m. Anh. III Buchst. A Nr. a12 dahin ausgelegt, dass die dort genannten Angaben dem Verbraucher mitzuteilen sind, der als Versicherter einem Gruppenvertrag beitritt, der zwischen einem Versicherungsunternehmen und einem als VN handelnden Unternehmen geschlossen wurde. Das Versicherungsunternehmen habe die Angaben dem VN mitzuteilen, der sie dem Verbraucher vor dessen Beitritt zu dem Vertrag mit allen weiteren auf die Bedürfnisse des Verbrauchers angepassten Einzelheiten zu übermitteln habe. Da die Nichterfüllung dieser Anforderungen nicht zur Nichtigkeit oder Ungültigkeit des Vertrags über die Gruppenlebensversicherung oder der Beitrittserklärung zu diesem Vertrag führe, stehe dem beigetretenen Verbraucher aber kein Anspruch auf Erstattung der gezahlten Versicherungsprämien zu.

II. Berufsunfähigkeitsversicherung

1. Der BGH hat bestätigt, dass der Versicherer ein befristetes Anerkenntnis nicht rückwirkend für einen abgeschlossenen Zeitraum abgeben kann (BGH v. 31.8.2022 – IV ZR 223/21, VersR 2023, 93; ebenso schon BGH v. 23.2.2022 – IV ZR 101/20, VersR 2022, 500). Die unzulässige Rückwirkung der Befristung habe zur Folge, dass der Versicherer sich nicht auf die Befristung berufen könne und das Anerkenntnis als unbefristet abgegeben gelte.

2. Nach einem Hinweisbeschluss des OLG Dresden setzt der Eintritt des Versicherungsfalls in der Berufsunfähigkeitsversicherung auch dann eine dauernde Einschränkung der beruflichen Fähigkeit voraus, wenn dies in den AVB nicht ausdrücklich angegeben ist (OLG Dresden v. 12.10.2022 – 4 U 673/22, VersR 2023, 167). Auch einem durchschnittlichen VN sei bewusst, dass vorübergehende Erkrankungen nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind.

3. Nach einem Urteil des OLG Dresden ist die Umorganisation eines größeren Friseurbetriebs wegen der Besonderheiten des Friseurberufs unzumutbar, wenn dadurch bei einem mitarbeitenden selbstständigen Friseurmeister die zuvor ausgeübte handwerkliche Tätigkeit vollständig wegfällt (OLG Dresden v. 22.2.2022 – 4 U 1585/21, VersR 2022, 619). Für die Feststellung der Berufsunfähigkeit lässt der Senat ein an die konkrete Berufstätigkeit anknüpfendes Gutachten ausreichen, auch wenn es keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel enthält. Das Gutachten hatte festgestellt, dass der VN den handwerklichen Tätigkeiten, die 76 % seiner Arbeitsleistungen ausmachten, nicht mehr nachgehen konnte.

4. Nach einem Urteil des OLG Nürnberg ist es dem Versicherer nicht verwehrt, den VN im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens auf eine Tätigkeit zu verweisen, die er infolge einer nach Anerkennung der Leistungspflicht vollzogenen Umschulung oder Weiterbildung ausübt (OLG Nürnberg v. 7.11.2022 – 8 U 2115/20, VersR 2023, 30). In materieller Hinsicht soll es dabei allein auf die Wahrung der bisherigen Lebensstellung und die gesundheitlichen Voraussetzungen ankommen.

5. Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass ein Berufsunfähigkeitsversicherer im Rahmen seiner Beratungspflicht gehalten sein kann, den VN anlässlich einer Umdeckung auf die mit der gewählten Art der Vertragsgestaltung verbundenen Risiken aufmerksam zu machen (OLG Saarbrücken v. 15.2.2023 – 5 U 36/22, VersR 2023, 425). Im konkreten Fall ging es darum, dass ein Neuabschluss unter Kündigung des Altvertrags den bestehenden Versicherungsschutz wegen der daran geknüpften nachteiligeren Folgen eines Rücktritts nach § 19 Abs. 2 VVG stärker gefährdet als ein Aufhebungsvertrag. Der Senat weist vor diesem Hintergrund zunächst darauf hin, dass die „Kündigung“ einer Berufsunfähigkeitsversicherung, deren Wirksamkeit vom Zustandekommen eines neuen Vertrags abhängig gemacht wird, nach §§ 133, 157 BGB als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags auszulegen sein kann, auf das der Versicherer durch Annahme der „Kündigung“ und des neuen Antrags eingegangen ist. Sofern eine solche Auslegung scheitert, soll der Versicherer nach § 6 Abs. 5 VVG i.V.m. §§ 249 ff. BGB verpflichtet sein, den VN im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als sei ein solcher Aufhebungsvertrag tatsächlich abgeschlossen worden.

III. Unfallversicherung

1. Der BGH hat entschieden, dass dem Versicherer auch dann ein Rückzahlungsanspruch zusteht, wenn sich bei einem allein vom VN ausgehenden Neubemessungsverlangen eine Verbesserung des Gesundheitszustands gegenüber dem bei der Erstbemessung zugrunde gelegten Zustand ergibt (BGH v. 2.11.2022 – IV ZR 257/21, VersR 2022, 1580). Die Auslegung von Ziff. 9.4 AUB 2008 ergebe, dass der Versicherer an der Rückforderung nicht gehindert sei, obwohl er sich die Neubemessung bei der Erstbemessung nicht vorbehalten habe.

2. Das OLG Saarbrücken hat festgestellt, dass die Invalidität nur dann aus der Zusammenschau mehrerer ärztlicher Atteste festgestellt werden kann, wenn sich die Atteste gegenseitig ergänzen, nicht aber bei gegenseitigem Widersprechen (OLG Saarbrücken v. 2.2.2022 – 5 U 37/21, VersR 2022, 625).

3. Nach einem Urteil des OLG Frankfurt kann das Versäumnis der Frist zur Invaliditätsfeststellung weder entschuldigt noch nachgeholt werden (OLG Frankfurt v. 16.3.2022 – 7 U 244/20, VersR 2022, 691). Im konkreten Fall begehrte der VN nach einem Tennisunfall Leistungen aus seiner Unfallversicherung, versäumte aber die Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität nach § 176 VVG. Das Vorbringen des VN, er habe die Frist aufgrund psychischer Erkrankung nicht schuldhaft versäumt, erachtete der Senat für unerheblich. Bei der Feststellungsfrist handele es sich um eine Anspruchsvoraussetzung, die schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden vom Versicherungsschutz ausgrenzen solle. Bei Versäumnis der Frist entstehe der Anspruch erst gar nicht. Dies könne auch nicht entschuldigt werden. Der VN könne sich auch nicht auf eine unterbliebene oder unzureichende Belehrung nach § 186 VVG berufen. Wenn Unfall erst nach Fristablauf angezeigt werde, sei der Versicherer nicht zu einem Hinweis auf die Frist verpflichtet.

4. Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass der VN die bereits regulierten Leistungen im Fall einer unrichtigen Erstbemessung der Invalidität auch ohne Neubemessungsvorbehalt anteilig nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückzuzahlen hat (OLG Saarbrücken v. 9.2.2022 – 5 U 53/21, VersR 2022, 692). Der Versicherer sei nach § 11 Abs. 1 und 4 AUB 94 nicht an eine fehlerhafte Bemessung gebunden. Auch das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts könne den Versicherer nicht an die zugrunde liegende fehlerhafte Erstbemessung binden.

5. Nach einem Urteil des OLG Frankfurt ist eine Feststellungsklage des VN bezüglich der Pflicht des Versicherers zur Erbringung von Invaliditätsleistungen aus einer privaten Unfallversicherung nach Ablauf der Erstbemessungsfrist regelmäßig als unzulässig abzuweisen (OLG Frankfurt v. 13.7.2022 – 7 U 88/21, VersR 2022, 1218). Zu Nr. 5.2.6. AUB 2008, der „krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen“ vom Versicherungsschutz ausschließt, „auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“, stellt der Senat fest, dass es nicht auf die medizinische Nachvollziehbarkeit der psychischen Reaktion auf das körperliche Geschehen ankommt, und verwies hierzu auf seine Rechtsprechung zur inhaltsgleichen Vorgängerklausel (OLG Frankfurt v. 18.12.2015 – 7 U 195/13, BeckRS 2016, 16679 Rz. 35, 38; ebenso OLG Hamm v. 12.6.2017 – 6 U 139/15, juris Rz. 52).

6. Nach einem Urteil des OLG Saarbrücken muss die ärztliche Feststellung der Invalidität keine Angaben dazu enthalten, ob die Invalidität binnen der nach den AVB maßgeblichen Jahresfrist nach dem Unfall eingetreten ist (OLG Saarbrücken v. 5.8.2022 – 5 U 97/20, VersR 2022, 1362). Wenn das Unfallereignis auf eine vorbestehende Erkrankung (hier: Arthrose) nur aktivierend oder akzentuierend eingewirkt habe, ohne einen eigenständigen Strukturschaden zu verursachen, müsse die adäquate Kausalität des Unfallereignisses für die Aktivierung oder Akzentuierung der Vorerkrankung mit dem Beweismaß des § 286 ZPO festgestellt werden. Die Feststellung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit reicht daher nicht.

IV. Krankenversicherung

1. Anforderungen an die Prämienanpassung (§ 203 VVG)

a) Der BGH hat seine neuere Rechtsprechung (BGH v. 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240) zu den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung bestätigt (BGH v. 20.10.2021 – IV ZR 148/20, VersR 2022, 155). Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordere die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst habe. Ob die über den Schwellenwert hinausreichende Veränderung in Gestalt einer Steigerung oder eine Verringerung eingetreten sei, müsse dagegen nicht dargelegt werden.

b) Auch das OLG Köln setzte sich mit den Anforderungen an die Mitteilungspflicht des Versicherers im Fall der Neufestsetzung einer Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG auseinander (OLG Köln v. 2.9.2022 – 20 U 266/21, VersR 2022, 1353). Der Senat hat dabei ebenfalls klargestellt, dass die Angabe des Schwellenwertes oder der Höhe der Überschreitung nicht erforderlich ist. Dem VN müsse aber deutlich gemacht werden, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für die Veränderung der betreffenden Rechnungsgrundlage gebe, dessen Überschreitung die in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst habe.

c) Nach einem Urteil des OLG Rostock ist eine Beitragsanpassungsklausel, nach der die Tarifbeiträge bei einer Abweichung der erforderlichen Versicherungsleistungen von den kalkulierten um mehr als 5 % angepasst werden „können“, nach § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (OLG Rostock v. 27.9.2022 – 4 U 132/21, VersR 2022, 1418). Maßgeblich ist die Erwägung, dass nach dieser Klausel auch eine dem VN günstige Veränderung der erforderlichen Versicherungsleistungen gegenüber den kalkulierten zu einer Prämienerhöhung führen kann. Das OLG Rostock gab damit seine vorherige Rechtsprechung (OLG Rostock v. 8.12.2021 – 4 U 90/21, juris Rz. 37) auf.

d) Das OLG Celle hat zu den Voraussetzungen für die Beitragsanpassung in einem ausschließlich der Beitragsentlastung im Alter dienenden Tarif Stellung genommen. Da ein Beitragsentlastungstarif akzessorisch zur Hauptversicherung sei, richte sich die Beitragsanpassung in dem Beitragsentlastungstarif nach § 203 VVG und § 155 VAG, sofern das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers in der Hauptversicherung ausgeschlossen sei (OLG Celle v. 13.1.2022 – 8 U 134/21, VersR 2022, 357). Beitragsanpassungsklauseln, die von § 203 Abs. 2 VVG und § 155 VAG abweichende Voraussetzungen für eine Beitragsanpassung im Beitragsentlastungtarif vorsehen (z.B. die Einführung einer neuen Sterbetafel in der Pflegepflichtversicherung), seien nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

2. Rückzahlung von Versicherungsprämien bei unwirksamer Prämienanpassung

a) Bei Unwirksamkeit einer Prämienanpassung steht dem VN ein Anspruch auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Prämien aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Der BGH hat hierzu klargestellt, dass der VN sich dabei den Wert des genossenen Versicherungsschutzes nicht anspruchsmindernd anrechnen lassen muss, weil er den Versicherungsschutz nicht ohne Rechtsgrund erlangt habe. Auch soweit der Versicherer die auf die unwirksame Prämienanpassung gezahlten Erhöhungsbeiträge für die Bildung der tariflichen Alterungsrückstellungen für den Beitragszuschlag nach § 149 S. 1 VAG und für die Zuschläge nach §§ 7, 8 KVAV verwendet habe, könne er sich nicht nach § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen (BGH v. 21.9.2022 – IV ZR 2/21, VersR 2022, 1414; näher dazu Looschelders, JZ 2022, 1164 ff.).

b) Der Anspruch des VN auf Rückzahlung zu viel gezahlter Prämien bei unwirksamer Prämienanpassung unterliegt der regelmäßigen Verjährung (§§ 195, 199 BGB). Für den Verjährungsbeginn ist der Zugang der Änderungsmitteilung beim VN maßgeblich. Kenntnis des VN von der möglichen Unwirksamkeit der Prämienanpassung ist nicht erforderlich. Die Verjährung beginnt daher mit dem Schluss des Jahres, in dem die jeweiligen Prämienanteile gezahlt wurden (BGH v. 17.11.2021 – IV ZR 113/20, VersR 2022, 97). Die Unzumutbarkeit der Klageerhebung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die Rechtslage hinsichtlich der Anforderungen an die nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden Gründe für die Anpassung bei Zugang der Änderungsmitteilung unsicher und zweifelhaft war (OLG Saarbrücken v. 1.12.2021 – 5 U 93/20, VersR 2022, 308).

3. Auskunftsansprüche des VN zu früheren Prämienanpassungen

Mehrere obergerichtliche Entscheidungen betreffen Auskunftsansprüche des VN zu früheren Prämienanpassungen und gelangen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen.

a) Das OLG Nürnberg hat Auskunftsansprüche des VN zu früheren Beitragserhöhungen verneint (OLG Nürnberg v. 14.3.2022 – 8 U 2907/21, VersR 2022, 622). Einen Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB lehnte der Senat mit der Begründung ab, dass der Anspruchsteller dafür in entschuldbarer Weise über den Inhalt der Information in Unkenntnis sein müsse. Außerdem müssten ausreichende Anhaltspunkte für die Existenz eines bestimmten durchsetzbaren Anspruchs bestehen. Der Kl. habe schon nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen er nicht (mehr) über Informationen zu etwaigen früheren Beitragserhöhungen und damit verbundene Unterlagen verfügt. Der Kl. habe auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass ein bestimmter – über den in erster Instanz zugesprochenen Betrag hinausgehender – Anspruch gegen die Bekl. aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB besteht. Ein möglicher Auskunftsanspruch nach § 3 Abs. 3 und 4 VVG würde zwar auch Nachträge zum Versicherungsschein nach einer Beitragserhöhung erfassen; die pauschale Erklärung, diese seien nicht mehr auffindbar, reiche zur Begründung eines solchen Anspruchs aber nicht aus. Einem Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DS-GVO entgegen. Das Verlangen sei missbräuchlich, wenn es lediglich der Überprüfung von Beitragsanpassungen diene und nicht dem Schutzzweck der DS-GVO entsprechend einem Bewusstwerden über die Verarbeitung der personenbezogenen Daten und einer Überprüfung von deren Rechtmäßigkeit.

b) Das OLG Schleswig hat einen auf die Erteilung von Nachtragsversicherungsscheinen aus vergangenen Jahren beschränkten Anspruch des VN aus § 3 Abs. 3 VVG bejaht, sofern der VN darlegt und beweist, dass er über die ihm erteilten Versicherungsscheine nicht mehr verfügt (OLG Schleswig v. 18.7.2022 – 16 U 181/21, VersR 2022, 1489). Einen weiter gehenden Auskunftsanspruch hinsichtlich früherer Prämienerhöhungen aus Art. 15 DS-GVO hat der Senat mit der Begründung verneint, dieses Auskunftsrecht solle dem Betroffenen die informierte Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung ermöglichen. Auf solche Zwecke komme es dem Kl. aber nicht an. Einen weitergehenden Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben hat der Senat ebenfalls abgelehnt. Er hat dabei u.a. darauf abgestellt, dass die Unkenntnis des Kl. hinsichtlich der Informationen nicht unverschuldet sei.

c) Demgegenüber hat das OLG Karlsruhe einen Auskunftsanspruch des VN aus § 242 BGB über zurückliegende Beitragsanpassungen und die ihm hierzu übermittelten Unterlagen bejaht, soweit die entsprechenden Unterlagen dem VM nicht mehr vorliegen (OLG Karlsruhe v. 29.11.2022 – 12 U 305/21, VersR 2023, 99). Der VN müsse sich vom Versicherer nicht entgegenhalten lassen, dass nach seinem bisherigen Vortrag offen sei, ob und in welcher Höhe ihm aufgrund unwirksamer Prämienanpassungen in der Vergangenheit Ansprüche aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zustehen. Einen weiter gehenden Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO hat der Senat abgelehnt. Er hat dabei offengelassen, ob der Anspruch schon daran scheitert, dass der Kl. keinen unter den Schutzzweck des Art. 15 Abs. 1 DS-GVO fallenden Zweck verfolgt. Da dem Anspruch auch kein anderer legitimer Zweck zugrunde liege, sei er als schikanös und damit als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

d) Das OLG Celle hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO nicht zweckgebunden sei (OLG Celle v. 15.12.2022 – 8 U 165/22, VersR 2023, 429). Der VN könne daher auch dann Auskunft über seine beim Versicherer gespeicherten personenbezogenen Daten verlangen, wenn er nicht das Ziel verfolgt, sich der Datenverarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Der Senat hat der Frage der Zweckbindung grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen.

e) Das OLG Naumburg einen Anspruch des VN gegen den Versicherer auf Auskunft über frühere Prämienanpassungen aus Treu und Glauben bejaht (OLG Naumburg v. 11.10.2022 – 1 U 171/21, VersR 2023, 436). Maßgeblich ist die Erwägung, dass der Versicherer nach § 203 Abs. 5 VVG ohnehin verpflichtet ist, dem VN die Neufestsetzung und die dafür maßgeblichen Gründe mitzuteilen. Wenn der VN über diese Informationen nicht mehr verfüge, könne der Versicherer nach Treu und Glauben auch mehrmals zur Auskunft verpflichtet sein. Nach Ansicht des Senats setzt der Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben nicht voraus, dass dem VN das Vertragsexemplar ohne Verschulden abhandengekommen ist. Eine Grenze wird nur für den Fall angenommen, dass das Verhalten des VN mutwillig oder missbräuchlich erscheint.

4. (Un-)Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 und 2 MBKK 2009

a) Die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 und 2 MBKK 2009 ist seit langem umstritten. Der BGH hat hierzu entschieden, dass § 8b Abs. 2 MBKK 2009 entgegen § 208 S. 1 VVG zum Nachteil des VN von § 203 Abs. 2 S. 1 VVG abweicht und daher unwirksam ist (BGH v. 22.6.2022 – IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078). Während § 203 Abs. 2 S. 1 VVG bei einer Prämienanpassung zwingend voraussetze, dass die Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage nicht nur als vorübergehend anzusehen sei, sehe § 8b Abs. 2 MBKK 2009 vor, dass der Versicherer bei einer nur vorübergehenden Veränderung von der Prämienanpassung absehen könne. Der durchschnittliche VN werde der Regelung nach dem eindeutigen Wortlaut entnehmen, dass eine Prämienanpassung auch bei einer vorübergehenden Veränderung möglich sei. Dagegen weiche § 8b Abs. 1 MBKK 2009 nicht zum Nachteil des VN von den gesetzlichen Vorschriften ab, da er dieselben Voraussetzungen wie § 203 Abs. 2 VVG enthalte. Der Sinn der Vorschrift werde auch nicht durch die Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MBKK 2009 beeinträchtigt, so dass die Zerlegung der Klausel in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil nach dem Blue-Pencil-Test möglich sei.

b) Ebenso hatte schon das OLG Dresden § 8b Abs. 1 MBKK 2009 nach dem Blue-Pencil-Test als inhaltlich trennbar von § 8b Abs. 2 MBKK 2009 angesehen und daher ein isoliertes Bestehenbleiben trotz Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MBKK 2009 bejaht (OLG Dresden v. 17.5.2022 – 4 U 2388/21, VersR 2022, 1018).

5. Umfang der Versicherungsleistung

a) Der BGH hat sich in zwei Grundsatzentscheidungen mit der separaten Ersatzfähigkeit einer Behandlung des Grauen Stars durch eine Laseroperation beschäftigt. Der Senat hat entschieden, dass diese Behandlung nicht separat im Wege einer Analogie zu Nr. 5800 und Nr. 5855 GOÄ abzurechnen sei (BGH v. 14.10.2021 – III ZR 353/20, VersR 2022, 301 m. Anm. Fenercioglu/Schoenen; BGH v. 14.10.2021 – III ZR 350/20, VersR 2022, 307). Nach der Rechtsprechung des Senats sei die in § 6 Abs. 2 GOÄ vorgesehene Analogberechnung nur zulässig, wenn die ärztliche Leistung als selbstständig anzusehen sei. Dies beurteile sich danach, ob für die Leistung eine eigenständige medizinische Indikation besteht. Der Einsatz eines Femtosekundenlasers habe keine eigenständige Indikation, sondern sei als unselbstständige Teilleistung des übergeordneten Ziels „Kataraktoperation“ anzusehen. Der Zuschlag nach Nr. 441 GOÄ beziehe sich nicht nur auf Laser, die ohne Vorbereitungsarbeiten im Rahmen einer Operation sofort einsetzbar seien, sondern erfasse auch den Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Operation des Grauen Stars nach Nr. 1375 GOÄ.

b) Nach einem Urteil des OLG Nürnberg sind die Transportkosten zu einer mehrmals pro Woche in einer nephrologischen Gemeinschaftspraxis stattfindenden Dialysebehandlung nicht erstattungsfähig (OLG Nürnberg v. 28.2.2022 – 8 U 224/21, VersR 2022, 688). Erstattungsfähig wären nach den AVB die Transportkosten zum Zwecke einer ambulanten Operation oder einer stationären Heilbehandlung. Die Dialysebehandlungen seien aber weder operativ von einem Arzt vorzunehmen noch fänden sie in einem Krankenhaus statt.

c) Nach einem Urteil des OLG Frankfurt hängt die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung nach § 1 Abs. 2 MBKK 2009 nicht von der Eignung zum Erreichen des Behandlungsziels ab. Sie liege bereits dann vor, wenn nach dem medizinischen Erkenntnisstand die Erreichung des Behandlungsziels mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht möglich erscheint (OLG Frankfurt v. 29.6.2022 – 7 U 140/20, VersR 2022, 1350). Die Auslegung des § 4 Abs. 6 S. 2 Var. 2 MBKK 2009 ergebe, dass sich der Patient nicht auf eine Zweitlinientherapie durch anerkannte schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten verweisen lassen müsse, sollte bereits eine Erstlinientherapie ausgereizt worden sein und aufgrund des Fortschritts der Krankheit eine Behandlung dieser Art ausscheiden. Schulmedizinische Behandlungen stünden dann nicht mehr „zur Verfügung“ i.S.d. § 4 Abs. 6 S. 2 Var. 2 MBKK 2009.

d) Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass der Versicherer in der privaten Krankenversicherung in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes zum Ersatz von Behandlungskosten verpflichtet sein könne, obwohl diese sich als medizinisch nicht notwendig erweisen. Zur Begründung hat der Senat darauf abgestellt, dass die vorbehaltlose Kostenerstattung über einen längeren Zeitraum grundsätzlich geeignet sei, beim VN das berechtigte Vertrauen darauf zu wecken, auch in Zukunft eine Kostenerstattung zu erhalten (OLG Karlsruhe v. 2.2.2023 – 12 U 194/22, VersR 2023, 307).

6. Auslandsreisekrankenversicherung

Die Kl. verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen des ihrer Ansicht nach zu spät erfolgten Rücktransports nach einem Blinddarmdurchbruch. Das OLG Bremen verneinte diesen Anspruch mangels Verletzung einer vertraglichen Pflicht durch den Versicherer (OLG Bremen v. 13.5.2022 – 3 U 16/21, VersR 2022, 935). Die nach den AVB geschuldeten sog. „Assistanceleistungen“ umfassten zwar die Organisation eines Rücktransports, nicht aber dessen sofortige Durchführung. Die Fälligkeit der Organisation eines Krankentransports trete nämlich erst bei Transportfähigkeit der versicherten Person ein. Die Leistung könne daher nicht verlangt werden, wenn noch keine medizinisch verlässlichen Informationen zur Transportfähigkeit der versicherten Person vorliegen.

7. Krankentagegeldversicherung

Die Kl. machte für den Zeitraum ihres Mutterschutzes Ansprüche auf Krankentagegeld geltend, erhielt aber einen geringen Betrag als vereinbart. Das OLG Saarbrücken hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Anspruch auf Krankentagegeld stehe der versicherten Person nach § 1a Abs. 1 und 2 MBKT nur unter Anrechnung eines Anspruchs auf Mutterschaftsgeld, Elterngeld oder einen anderen anderweitigen angemessenen Ersatz für den Verdienstausfall zu (OLG Saarbrücken v. 13.7.2022 – 5 U 82/21, VersR 2022, 1087). Die Kl. hatte im maßgeblichen Zeitraum neben dem Mutterschaftsgeld nach § 19 MuSchG einen Zuschuss von ihrem Arbeitgeber nach § 20 MuSchG erhalten. Da diese Leistungen bereits für eine weitgehende Kompensation des Verdienstausfalls gesorgt hatten, stand der Kl. insoweit kein Anspruch auf Krankentagegeld zu.