Im Folgenden werden neuere Urteile, vor allem die des BGH, die zur Sachversicherung ergangen sind, vorgestellt. Der an sich hier vorgesehene Berichterstatter Prof. Dr. Peter Reusch ist in diesem Jahr aus nicht vorhersehbaren Gründen verhindert; er wird aber ab 2024 zur Verfügung stehen. In unserem ersten Bericht hatte Prof. Dr. Manfred Wandt zum AT des VVG berichtet (parallel zu Heft 2 vom 15.1.2023). Es folgt am 15. März eine Übersicht über die Haftpflichtversicherung.
I. Vertragsinhalt
Ist die Einbeziehung von AVB (aus welchen Gründen auch immer) misslungen, dann ist der Inhalt des zustande gekommenen Versicherungsvertrags anhand eines objektiven Maßstabs gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (OLG Celle v. 17.3.2022 – 8 U 260/21, VersR 2022, 1583; zur Entscheidung auch Halbach, VK 2022, 184). Das folgt aus § 306 Abs. 2 BGB, der bestimmt, dass anstelle der vertraglichen Bedingungen die gesetzlichen Regelungen gelten, zu denen eben auch die §§ 133, 157 BGB zählen. Es gilt dann weder das Verständnis des spezifischen noch das des ‚durchschnittlichen‘ Versicherungsnehmers (VN), sondern ein objektiviertes Verständnis, das sich an Musterbedingungen und am allgemeinen Sprachgebrauch zu orientieren hat. Der Begriff „Tresor“ ist deswegen nach den VHB 2016 (Wertschutzschrank) zu verstehen und muss den dortigen spezifischen Anforderungen entsprechen.
II. Mitversicherung
Auch ohne (wirksame) Führungsklausel kann der Mitversicherer mit dem größeren Deckungsanteil berechtigt sein, Vertragsänderungen zugunsten des VN und zum Nachteil anderer Mitversicherer vorzunehmen (Erhöhung der Versicherungssumme) (OLG Hamm v. 6.10.2021 – 20 U 133/19, VersR 2022, 877; dazu Gal, VersR 2023, 86). Das richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Vertretungsmacht und der Anscheins- und Duldungsvollmacht. Einen entsprechenden Handelsbrauch hat das OLG Hamm verneint, aber das Handeln eines eingeschalteten Versicherungsmaklers – wie sonst auch – dem VN zugerechnet.
III. Sachverständigenverfahren
1. In einem Hochwasserschaden stritten die Parteien, ob der Versicherer auch das durch Hochwasser beschädigte Fundament des nach den VGB 2002 versicherten Gebäudes zu ersetzen hatte. Die Kl. behauptete eine durch die Überflutung verursachte Beschädigung des Fundaments, einen Beweis dafür hatte sie allerdings nicht. Also stellte sie im erstinstanzlichen Verfahren den Antrag, ein Sachverständiger möge das Fundament untersuchen, wobei der von ihr behauptete Schaden am Fundament und seine Ursache festgestellt würden. Diesem Antrag sind weder das LG noch das OLG gefolgt und auch die Revision der Kl. blieb erfolglos (BGH v. 23.9.2020 – IV ZR 88/19, VersR 2021, 532). Der BGH weist zur Begründung darauf hin, dass der Sachverständige eine „Hilfsperson“ des Gerichts sei, dem gegenüber ein Weisungsrecht des Gerichts bestünde. Dieses Weisungsrecht sei nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben. Auf der Basis dieser Grundsätze sei es aber keineswegs zwingend pflichtgemäß, den Sachverständigen anzuweisen, eine Bauteilöffnung vorzunehmen, nur weil die insoweit beweispflichtige Kl. ansonsten beweisfällig bleiben würde. Die beweisbelastete Kl. hat mit ihrem Antrag auf Bauteilöffnung in der Hoffnung, dabei den angenommenen Fundamentschaden feststellen zu können, letztlich einen Ausforschungsbeweis gestellt, dem die Gerichte zurecht nicht nachgekommen sind.
2. Ebenfalls um ein – allerdings anders gelagertes, nämlich prozessuales – Problem des Sachverständigenverfahrens ging es auch in der Sache BGH IV ZR 60/20 (BGH v. 13.4.2022 – IV ZR 60/20, VersR 2022, 817; s. auch OLG Dresden v. 11.10.2022 – 4 U 36/22, juris; zum Problem auch Halbach, VK 2022, 203). Obwohl prinzipiell der Leistungsklage Vorzug vor der Feststellungsklage zu geben ist, sei dies im Versicherungsrecht häufig anders (wegen der Hoffnung, dass der Versicherer nach erfolgreicher Feststellung seiner Eintrittspflicht den Schaden umgehend regulieren werde; auch die Einleitung eines Sachverständigenverfahrens selbst kann deswegen mit der Feststellungsklage begehrt werden, vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 84 Rz. 41). Das gilt vor allem, wenn in den AVB – hier § 31 Nr. 1 S. 1 VGB 2000 bzw. § 34 Nr. 1 S. 1 VHB 2000 – die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens zur Klärung der Schadenshöhe vorgesehen sei. Vor Durchführung des Sachverständigenverfahrens müsse der VN sich von vorneherein nicht auf eine Leistungsklage verweisen lassen.
IV. Covid-19
1. Sodann hat der BGH die immer noch aktuelle Frage, ob Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen Covid-19 bestehen, verneint (BGH v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, VersR 2022, 312; bestätigt durch BGH v. 21.9.2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505 = juris; BGH v. 22.6.2022 – IV ZR 488/21, juris; zum Problem Lüttringhaus, VersR 2022, 73). Zwar hat der BGH das Erfordernis der Verwirklichung einer sog. intrinsischen (also aus dem Betrieb selbst hervorgehende) Infektionsgefahr verneint, er hat aber Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen bejaht, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten behördlich angeordnet werden. Dabei sei der Katalog des § 2 Nr. 2 ZBSV 2008 abschließend. Die Regelung sei auch weder intransparent gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB noch sei sie unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB (vgl. dazu Langheid, VersR BLOG „Roma locuta“ vom 7.2.2022 abrufbar unter https://www.versr.de/blog-roma-locuta-nicht-jede-sprachliche-unfertigkeit-fuehrt-zur-erweiterung-des-versicherungsschutzes).
2. In Bezug auf die Vergleiche bei pandemiebedingten Betriebsschließungen, die einige Versicherer mit ihren Kunden auf der Basis der Empfehlung der Bayerischen Landesregierung (Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums Nr. 87/20 vom 3.4.2020) abgeschlossen hatten, hat das OLG Nürnberg entschieden, dass diese wirksam und unangreifbar seien (OLG Nürnberg v. 24.1.2022 – 8 U 3108/21, juris; vgl. dazu auch schon Wandt, VersR REPORT vom 15.1.2023 unter II 2 abrufbar unter https://www.versr.de/versr-report-ausgewaehlte-neue-rechtsprechung-zum-allgemeinen-teil-und-zu-den-schlussvorschriften-des-vvg-und-zu-den-schlussvorschriften-§§-1-58-209-216-vvg-vvg-info; ferner LG Flensburg v. 17.12.2020 – 4 O 143/20, VersR 2021, 449). Das war angezweifelt worden, weil die Versicherer eine Notlage ihrer Kunden ausgenutzt hätten, um so zu günstigen Vergleichen zu gelangen. (Frohnecke, r+s 2021, 205.) Davon kann nach der oben referierten BGH – Entscheidung keine Rede (mehr) sein. Vielmehr stehen die Kunden, die der Empfehlung nicht gefolgt sind und den Vergleich abgelehnt haben, jetzt schlechter da.
V. Gebäudeversicherung
1. Der BGH hat eine in der Wohngebäudeversicherung seit langem streitige Frage entschieden: Der Wohngebäudeversicherer ist für Nässeschäden, die auf eine undichte Fuge zwischen Duschwanne und Wand entstanden sind, nicht eintrittspflichtig (BGH v. 20.10.2021 – IV ZR 236/20, VersR 2021, 1563; vgl. dazu auch den Tagungsbericht von Derse/Termin zum 15. Düsseldorfer Versicherungsrechtstag, VersR 2023, 27). Eine Auslegung von Teil A § 3 Nr. 3 S. 2 VGB 2008 ergäbe, bei einer Fugenundichtigkeit läge kein „Bruchschaden“ vor, so dass das fragliche Leitungswasser auch nicht „bestimmungswidrig“ ausgetreten sei.
2. Ein Wohngebäude- und Hausratversicherer übernimmt keine eigene Reparaturpflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer, wenn er für die Sanierung eine Leitungswasserschadens ein Fachunternehmen auswählt (OLG Nürnberg v. 14.2.2022 – 8 U 3825/21, VersR 2022, 1024). Der Versicherer schulde allenfalls die ordnungsgemäße Auswahl des Reparaturbetriebs und könne für Schäden, die bei der Sanierung eintreten, nicht haftbar gemacht werden (vgl. auch schon OLG Nürnberg v. 5.5.1994 – 8 U 597/94, VersR 1995, 290).
3. Ist ein Firmengebäude „all risk“ – versichert, dann ist die Verschmutzung einer Sickergrube mit Altöl nicht „unvorhergesehen“, wenn die Verschmutzung nur durch den VN, einen Repräsentanten oder den früheren Eigentümer verursacht worden sein kann (OLG Saarbrücken v. 20.5.2022 – 5 U 60/21, VersR 2022, 1228 = juris). Weil der Versicherungsfall in versicherter Zeit eingetreten sein muss, ist der aus eigenem Recht klagende VN außerdem beweisbelastet dafür, dass der Schaden erst nach dem in § 95 VVG (Veräußerung der versicherten Sache bzw. Gefahrübergang) bestimmten Zeitpunkt eingetreten ist.
4. Ein „Erdrutsch“ (also ein „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen“) muss nicht abrupt und plötzlich eintreten, um versichert zu sein (BGH v. 9.11.2022 – IV ZR 62/22, VersR 2023, 41). Wenn ein Gebäude durch „allmähliche, nicht augenscheinliche und naturbedingte“, also eine nach und nach abrutschende Terrassenböschung Rissbildungen erleidet (nicht unmittelbar wahrnehmbare Rutschungen von wenigen Zentimetern pro Jahr), besteht Versicherungsschutz.
5. Ein Selbstbehalt, der von einer Wohnungseigentümergemeinschaft vereinbart wurde, ist nach Eintritt eines versicherten Schadens (defekte Wasserleitung) in dem Verhältnis auf die einzelnen Miteigentümer zu verteilen, wie auch die Prämien nach einem gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Schlüssel zu verteilen waren (BGH v.16.9.2022 – V ZR 69/21, VersR 2022, 1523 = juris).
VI. Elementarversicherung
In einer subtil begründeten Entscheidung hat der BGH sich schließlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine nach dem ECB 2010 vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Sturmflut den Schaden verursacht hat oder ob diese Sturmflut nur mittelbar für einen Hochwasserschaden verantwortlich war. Aufgrund eines Unwetters über und einer dadurch in der Ostsee entstandenen Sturmflut konnte das Wasser aus einem in die Ostsee mündenden Fluss nicht „regelgerecht abfließen“ und dadurch kam es zu einem Überflutungsschaden. Hier hat der BGH den Ausschluss der Sturmflut verneint, weil diese Sturmflut hier „lediglich … eine mittelbare Auswirkung“ dargestellt habe. (BGH v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19, VersR 2020, 549.) Zunächst wiederholt der BGH die bekannten Grundsätze, nach denen ein Ausschluss eng auszulegen ist; wenn der Begriff ‚Sturmflut‘ in den AVB nicht definiert werde, seien „Klassifizierungen, wie sie in (…) durchschnittlichen VN nicht bekannten Einstufungen“ wie z.B. den DIN oder behördlichen Regelungen von vorneherein „unerheblich“. Es käme also nur darauf an, ob es ein „durch auflandigen Sturm bewirktes, außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und Flussmündungen“ gegeben habe; ob hier auch die Gezeiten eine Rolle spielten, wie es noch vom Berufungsgericht erwogen worden sei, sei unbeachtlich. Jedenfalls sei der Schaden nicht „durch“ die Sturmflut verursacht worden, wenn es in einer Entfernung von 16 km von der Küste zu einer Überschwemmung gekommen sei. Dann sei die Sturmflut allenfalls mittelbar verantwortlich. Das erinnert an die causa proxima – Rechtsprechung in der Transportversicherung, bei der es auch regelmäßig darum geht, ob versicherte oder unversicherte Ursachen mit hoher Wahrscheinlichkeit für das fragliche Geschehen verantwortlich waren (vgl. dazu Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 130 Rz. 15).
VII. Anspruchsübergang
1. Der BGH hat entschieden, dass § 86 Abs. 1 S. 1 VVG, wo der Anspruchsübergang vom VN auf den Versicherer (VR) geregelt ist, soweit der VR den Versichertenschaden ersetzt hat, auch im Fall einer Versicherung von Reiserücktrittskosten Anwendung findet. Zwar gelte die Vorschrift in § 86 VVG nicht für die Summenversicherung, soweit es nicht um den Ersatz eines konkret entstandenen Schadens gehe, aber die Reiserücktrittskostenversicherung sei eine Schadenversicherung, weil „die dem VN seitens des Versicherers im Zeitpunkt des Schadens zu erbringende Leistung nicht bereits bei Vertragsschluss als fixe Summe“ feststehe (BGH v. 21.4.2021 – IV ZR 169/20, VersR 2021, 772; zum Problem vgl. auch schon den VersR BLOG „Die zutreffende Einordnung von Versicherungsverträgen“ von Vincent Schreier vom 15.9.2020 abrufbar unter https://www.versr.de/blog-schreier-die-zutreffende-einordnung-von-versicherungsvertraegen).
2. Ein einzelner Miteigentümer einer WEG, die das Sachersatzinteresse sowohl der Gemeinschaft als auch des Sondereigentümers versichert hat, ist mitversicherte Person und nicht „Dritter“ i.S.d. § 86 VVG (KG v. 9.4.2022 – 6 U 64/21, juris).
VIII. Rettungskosten
1. Die Erstattung von Ersatz für Aufwendungen bei Ausweichhandlungen bei Wildschäden ist seit langem problematisch und beschäftigte erneut das OLG Hamm (OLG Hamm v. 7.10.2020 – 20 U 128/20, VersR 2021, 898). Bei der versuchten Vermeidung eines Wildunfalls kann ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 90 VVG i.V.m. §§ 82, 83 VVG auch dann bestehen, wenn es zu einer bloßen Reflexhandlung des Fahrers kommt. Geschuldet sei nur ein nach den Umständen objektiv geeignetes Verhalten, das versicherte Risiko (hier den Zusammenstoß mit einem Reh) nicht eintreten zu lassen. Auf eine subjektive Zweckhandlung sei dabei nicht abzustellen. Ferner hat das OLG das Vorliegen grober Fahrlässigkeit auch deswegen verneint, weil im zu entscheidenden Fall die Fahrerin, die das spontane Ausweichmanöver durchführte, als sie das Reh die Fahrbahn queren sah, schwanger war.
2. Ähnlich hat auch das OLG Saarbrücken entschieden (OLG Saarbrücken v. 23.11.2022 – 5 U 120/21, VersR 2023, 174). Auch hier waren Rehe im Spiel, die sich am rechten Fahrbahnrand aufhielten, als der versicherte Motorradfahrer sie beim Befahren einer Rechtskurve in geringer Entfernung hinter einem Busch wahrnahm. Der Senat hielt den dem VN obliegenden Strengbeweis i.S.d. § 286 ZPO für geführt, dass hier eine objektive gebotene Rettungshandlung vorgenommen wurde. Dabei wird ebenfalls eine Reflexhandlung zugrunde gelegt. Eine solche sei versichert, ein subjektiver Rettungswille sei nicht erforderlich. Zu unterscheiden sei eine solche Reflexhandlung von der nicht versicherten Reflexwirkung, die vorläge, wenn „die Rettung eines – nicht versicherten – Hauptinteresses die Rettung eines – versicherten – Nebeninteresses“ als Reflex nach sich zöge (unter Hinweis auf BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 250/93, VersR 1994, 1181). Angesichts der Größe eines Rehs sei die Rettungshandlung auch geboten gewesen; der Senat verweist hier auf ältere BGH – Rechtsprechung, wonach der VN, der einem Hasen ausweicht, zwar Respekt, aber keinen Versicherungsschutz verdient.
IX. „Verhüllte“ Obliegenheit
Bei gewissen Verhaltensvorgaben, die der VR dem VN macht (ausreichende Kontrolle, Verschlussvorschriften etc.) stellt sich regelmäßig die Frage, ob die als Ausschluss formulierte Anforderung an das Tun des VN nicht doch eher als (mit ganz anderen Rechtsfolgen verknüpfte) Obliegenheit zu verstehen ist, die deswegen als „verhüllt“ bezeichnet wird (zum Problem vgl. Schimikowski, „Sicherheitsvorschriften in der Sachversicherung und das Bestimmtheitsgebot“, FS Langheid, 2022, S. 423 ff.). Die „geschlossene Pilotenklausel“, die die Eintrittspflicht des Versicherers in der Luftkaskoversicherung ausschließt, wenn das Flugzeug von anderen als den im Versicherungsvertrag bezeichneten Piloten geflogen wird, hat das OLG Köln zutreffend als Risikoausschluss eingestuft. Wenn von vorneherein nur ein bestimmter Personenkreis versichert sein soll, dann läge eine objektive Risikobegrenzung vor und keine an ein Verhalten des VN anknüpfende Obliegenheit (OLG Köln v. 5.11.2020 – 9 U 141/20, VersR 2021, 838).
X. Kfz-Kasko
1. Wenig erstaunlich ist, dass das KG (KG v. 3.5.2022 – 6 U 39/21, VersR 2022, 1021) bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,98 ‰ eine absolute Fahruntüchtigkeit annimmt, die den Kaskoversicherer gem. § 81 Abs. 2 VVG zu einer Leistungskürzung auf Null berechtigt. Erstaunlich aber ist, dass das Gericht selbst bei absoluter Fahruntüchtigkeit noch „hinreichend entlastende Umstände“ für denkbar hält, obwohl der Fahrer im konkreten Fall mit einem Verkehrszeichen und einem Gebäude kollidiert war. Hier ist eher an einen Vollrausch als an entlastende Umstände zu denken. Bedeutender ist die Entscheidung deswegen im Hinblick auf den Nachweis einer die freie Willensbildung ausschließenden psychischen Störung. Der Fahrer hatte behauptet, er sei vor der Trunkenheitsfahrt gestürzt und habe sich dabei Kopfverletzungen zugezogen, die ihn in einen „geordneten anamnestischen Dämmerzustand“ versetzt hätten. Dem ist der Senat nicht nachgegangen und hat auch den Kl. nicht im Wege der Parteivernehmung angehört, weil der beweispflichtige Kl. für seinen Sturz keine Zeugen angeboten hätte. Die vom OLG Köln (OLG Köln v. 3.5.2018 – 9 U 126/17, r+s 2018, 594 = juris) im Zusammenhang mit § 103 VVG aufgeworfene Frage, ob der Versicherer in Bezug auf einen von ihm behaupteten Vorsatz beweisfällig bleiben müsse, wenn der VN eine geistig – psychische Einschränkung unterhalb der Schwelle der Schuldunfähigkeit (die der VN nachweisen muss) behauptet, wird hier (zu Recht) nicht weiter diskutiert (zum Problem Langheid/Rixecker, 7. Aufl., § 103 Rz. 5 und 23). Allerdings ist nicht zu verkennen, dass der VR wohl beweisfällig geblieben wäre, wenn es dem Kl. gelungen wäre, den fraglichen Sturz nachzuweisen. Denn wie hätte der behauptete „anamnestische Zustand“ dann widerlegt werden können? Das wäre auch bei § 81 VVG zu beachten gewesen (vgl. dazu Prölls/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., § 81 Rz. 77 ff.; dagegen wiederum Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 81 Rz. 92 f.; Looschelders in Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 2. Aufl., § 81 Rz. 104).
2. Nach OLG Saarbrücken kann der Versicherer seine Leistung auf Null kürzen, wenn der VN eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 ‰ hatte und nicht plausibel erklären konnte, wie er ohne den Alkoholeinfluss in einer langgezogenen Kurve von der Fahrbahn abkommen und an einem Baum landen konnte (OLG Saarbrücken v. 12.10.2022 – 5 U 22/22, VersR 2022, 1502). Zwar komme ein Anscheinsbeweis für die Fahruntüchtigkeit nicht in Frage, wohl aber für die Kausalität zwischen Fahruntüchtigkeit und Unfallgeschehen.
3. Ebenfalls OLG Saarbrücken hat entschieden, dass nach einer Trunkenheitsfahrt der VR bei dem im Mietvertrag über das versicherte Fahrzeug nicht benannten Sohn der Mieterin Regress nehmen kann (OLG Saarbrücken v. 9.9.2022 – 5 U 2/22, VersR 2022, 1296).
4. Abschließend ein Urteil des OLG Dresden, nach dem sich das „äußere Bild“ einer versicherten Kfz-Entwendung auch aus der Verwertung eines Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises ergeben kann (OLG Dresden v. 20.6.2022 – 4 U 87/22, VersR 2022, 1292). Zwar hatte der Kl. falsche Angaben zur Laufleistung gemacht (wodurch der Versicherer seine Glaubwürdigkeit erschüttert sah), aber ein Dritter war wegen „schwerem Bandendiebstahl“ u.a. wegen des versicherten Fahrzeugs strafrechtlich verurteilt worden und das OLG sah keinen Grund, an diesem Strafurteil zu zweifeln.
5. Für den Nachweis eines Teilediebstahls ist es nach OLG Brandenburg erforderlich, dass der VN den an sich für den Fahrzeugdiebstahl erforderlichen Nachweis (hinreichende Wahrscheinlichkeit für das berühmte „äußere Bild“) führt. Es bedarf des Nachweises eines verschlossenen Abstellens und Wiederauffindens in unerwartet beschädigtem Zustand ohne die (angeblich) entwendeten Teile (OLG Brandenburg v. 4.5.2022 – 11 U 74/21, zfs 2022, 571 = juris i.A. an Brockmöller, zfs 2017, 184, 194). Das bloße Vorhandensein von Aufbruchspuren reicht danach nicht, weil diese Spuren auch bei einem fingierten Versicherungsfall vorliegen (können). Wenn also der VN persönlich unzuverlässig ist und ihm andere Beweismittel für das äußere Bild nicht zur Verfügung stehen, ist die Klage abzuweisen (anders allerdings Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung, 4. Aufl., § 4 Rz. 912; Biller-Bomhard, VersR 2020, 1248).
Prof. Dr. Theo Langheid