VersR REPORT: Ausgewählte Rechtsprechung zum Haftungs- und Schadensrecht

Von Prof. Dr. Oliver Brand und Lothar Jaeger

I. Einführung

Die im Berichtszeitraum Sommer 2022 bis Sommer 2023 ergangene Rechtsprechung auf dem Gebiet des Haftungs- und Schadensrechts ist zu umfangreich, um in einem gedrängten Beitrag auch nur einen Überblick, geschweige denn eine kritische Würdigung, geben zu können. Nachfolgend sollen daher lediglich schlaglichthaft Felder des Haftungs- und Schadensrechts beleuchtet werden, zu denen besonders viele Entscheidungen ergangen sind (II. Dieselfälle und VI. Mitverschulden), auf denen es zu wichtigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung gekommen ist (III. Schockschäden), oder zu denen noch Grundlagenfragen zu klären waren (IV. Hinterbliebenengeld). Beobachtungen zu interessanten oder wichtigen Einzelentscheidungen runden den Beitrag ab.

II. Dieselfälle

Noch immer Legion sind die ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen zu den Dieselfällen, der Haftung des Herstellers für Kfz mit illegalen Abschaltvorrichtungen. Man wünschte, der VI. Zivilsenat hätte die „Büchse der Pandora“ seinerzeit nicht geöffnet, indem er außergewöhnlich großzügig einen Schaden angenommen (dies soll bereits der Vertragsschluss als solcher sein, nicht erst, wie etwa auch in der c.i.c., der wirtschaftlich nachteilige Vertrag) und sich dann an einer Korrektur und Eindämmung im Wege der Vorteilsausgleichung versucht hat. Das hat Begehrlichkeiten geschaffen, die schwer in den Griff zu bekommen sind und die Zivilgerichtsbarkeit ohne Not an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus geführt haben. Gleich mehrere Zivilsenate des BGH, u.a. in 2022 auch der III., haben sich noch immer mit einzelnen Tatbestandsmerkmalen der Haftung nach § 826 BGB auseinanderzusetzen (u.a. BGH v. 15.11.2022 – VI ZR 35/20, VersR 2023, 799: Täter und Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit; BGH v. 10.7.2023 – VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246: Fehlerhafte Übereinstimmungsbescheinigung) sowie mit Fragen zur Darlegungslast (u.a. BGH v. 27.10.2022 – III ZR 211/20, VersR 2023, 265.) Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen mittlerweile neben Fragen der Vorteilsausgleichung allerdings solche der Verjährung. Zur Vorteilsausgleichung hält der VIa. Senat des BGH auch heute noch daran fest, eine Vorteilsausgleichung für die Nutzungsvorteile und die gegenständliche Verfügbarkeit eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschaltvorrichtung bzgl. eines Anspruchs auf Gewähr von Schadensersatz bzw. Restschadensersatz nach §§ 826, 852 S. 1 BGB vorzunehmen (BGH v. 10.10.2022 – VIa ZR 542/21). Die Gleichbehandlung von Schadensersatz und Restschadensersatz ist dabei folgerichtig. Es verbleibt aber die bohrende Grundfrage, wie ein Vermögensvorteil im Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden kann, wenn der auf ihn gerichtete Vertrag bereits dem Grunde nach für die Zwecke des Käufers vom entscheidenden Senat für untauglich gehalten wird. Das ist zumindest eine logische Anspannung. Es bleibt der Verdacht, dass mit Gewalt eingefangen werden soll, was zuvor mit allzu großzügiger Hand durch das Tor des Ersatzes gelassen wurde.

Deutlich überzeugender sind die jüngeren Ausführungen des VIa. Senats des BGH zu Verjährungsfragen im Zusammenhang mit den Dieselfällen (zum Verjährungsbeginn etwa BGH v. 13.12.2022 – VI ZR 1008/20, VersR 2023, 335). Im Schrifttum ist noch immer streitig, ob eine Klage auf Schadensersatz auch nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gehemmt wird, wenn diese nicht durch einen Verbraucher gegen einen Unternehmer angestrengt wird, sondern von einem Unternehmer, der seine Forderung zum Klageregister nach § 608 ZPO anmeldet (im Überblick zum Streitstand: Meller-Hannich in BeckOGK/BGB, § 204 Rz. 112). Der Senat VIa will in einer Entscheidung vom 26.9.2022 eine Verjährungshemmung nur annehmen, wenn ein Verbraucher einen Anspruch zur Musterfeststellungsklage anmeldet (BGH v. 26.9.2022 – VIa ZR 124/22, VersR 2023, 121; dazu auch Lühmann, EWiR 2023, 261 ff.). Zwar gehe der Wortlaut des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB nicht von einer Verbrauchereigenschaft des Gläubigers aus. Erforderlich sei allerdings eine wirksame Anmeldung beim Klageregister nach § 608 ZPO und diese sei eben nur einem Verbraucher möglich. Das überzeugt.

III. Schockschäden

Eine grundlegende Änderung der Praxis des deutschen Haftungsrechts geht mit der Entscheidung des BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, VersR 2023, 392 einher. Darin ändert der VI. Zivilsenat des BGH seine jahrzehntelange Rechtsprechung zum Anspruch auf Schmerzensgeld nach einem Schockschaden.

Nach der bisherigen Senatsrechtsprechung konnten psychische Störungen von Krankheitswert zwar eine Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Dieser Grundsatz hatte im Bereich der sogenannten „Schockschäden“ allerdings dann eine gewisse Einschränkung erfahren. Danach begründeten seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, selbst dann nicht ohne weiteres eine Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant waren. Psychische Beeinträchtigungen sollten in diesen Fällen nur dann als Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.

Diese, wegen ihrer Ungreifbarkeit und Willkürlichkeit im Schrifttum schon länger stark angegriffene (siehe nur Brand, Schadensersatzrecht, 3. Aufl. 2021, § 3 Rz. 34 ff. m.w.N.) Einschränkung des Tatbestandsmerkmals der Rechtsgutsverletzung lässt der VI. Zivilsenat des BGH nun fallen und kehrt zur Normalität zurück (vgl. Jaeger, Rechtsprechung zum Schockschaden kehrt zur Normalität zurück, VersR 2023, 358 ff.; zustimmend auch Scholten, zfs 2023, 141 f.), nachdem auch der EuGH entschieden hatte, dass für einen Gesundheitsschäden eine Beeinträchtigung der psychischen Integrität ausreicht, die von solcher Schwere oder Intensität ist, dass sie sich auf den allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen kann (EuGH v. 20.10.2022 – C-111/21, VersR 2023, 70; EuGH v. 15.12.2022 – C-577/21, VersR 2023, 375). Nunmehr lautet der Leitsatz des BGH:

Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Die Rechtsprechung wird indes zeigen müssen, dass die verbliebenen Voraussetzungen für den Ersatz von Schockschäden, die Verständlichkeit der Reaktion und die – ebenfalls nicht vollständig überzeugende – Begrenzung des Kreises der Anspruchsteller auf nahe Angehörige und unmittelbare Geschehensbeteiligte, hinreichendes Abgrenzungspotential besitzen, um die Gewähr von Schadensersatz in Fällen psychisch vermittelter Kausalität nicht ausufern zu lassen.

Durch diese grundlegende Entscheidung des VI. Zivilsenats und die Judikatur des EuGH sind andere obergerichtliche Entscheidungen, die noch kurz zuvor ergangen sind, Makulatur geworden. Dazu zählt etwa eine Entscheidung des OLG Celle vom 24.8.2022 (OLG Celle v. 24.8.2022 – 14 U 22/22, VersR 2023, 55 m. Anm. Jaeger; außerdem Schiemann, GesR 2022, 699), in der dieses, gestützt auf die vormalige Rechtsprechung des VI. Zivilsenats, u.a. massive Schlafstörungen und Weinkrämpfe über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren noch dem allgemeinen Lebensrisiko zugewiesen hatte. Der Geschädigter war ein Vater, der den leblosen Körper seines 12jährigen Jungen nach einem Verkehrsunfall hatte auffinden müssen. Diese zu Recht kritisch aufgenommene Entscheidung zeigt noch einmal deutlich, wie überfällig es war, die Anspruchsvoraussetzung des „über das Maß des zu Erwartenden“ hinausgehenden Leids aufzugeben. Es ist schlicht nicht erfindlich, was Eltern „normalerweise empfinden“, wenn sie nach einem tödlichen Unfall zur Unfallstelle kommen und mit der Leiche des Kindes konfrontiert werden. Wenn man Schockschäden schon ersetzt, dann hätte in diesem Fall ein entschädigungspflichtiger Schockschaden nicht verneint werden dürfen – und würde es nach der neuen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH wohl auch nicht mehr.

IV. Hinterbliebenengeld

Eine Entscheidung des BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 73/21, VersR 2023, 256, widmet sich den Kriterien zur Bemessung des 2017 in das Haftungsrecht eingeführten Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3, die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Dieser hat die konkrete seelische Beeinträchtigung des Hinterbliebenen zu bewerten und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Schmerzensgeld sind dabei sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke in den Blick zu nehmen.

Klar ist nach dieser Formulierung, dass das Hinterbliebenengeld eine Entschädigung ist, nicht aber ein Schmerzensgeld. Darauf hat in dieser Deutlichkeit bisher nur Jaeger (Jaeger, Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, VersR 2017, 1041) hingewiesen. Maßgebend für die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Aus der Art des Näheverhältnisses und der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und aus der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung lassen sich Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten.

Obwohl der im Gesetzgebungsverfahren genannte Durchschnittsbetrag von 10.000 € für einen Schockschaden falsch ist (Jaeger, Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, VersR 2017, 1041), erkennt der VI. Zivilsenat des BGH jetzt an, dass dieser Betrag keine Obergrenze darstellt, sondern eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung bilden soll, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann.

Immer noch auf der Grundlage der Rechtsprechung zum Schockschaden bis zum 6.12.2022 folgt der letzte Leitsatz: Das Hinterbliebenengeld dient dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag muss deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte.

Auf dieser Entscheidung baut eine weitere Entscheidung des BGH v. 23.5.2023 – VI ZR 161/22 (VersR 2023, 1036) zum Hinterbliebenengeld auf, die zwei weitere Fragen beantwortet. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hinterbliebenen sollen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich auf seine seelische Verfassung in prägender Weise ausgewirkt haben. Es bleibt den Anwälten von Hinterbliebenen überlassen, sich einen Sachverhalt auszudenken, der diese Voraussetzung erfüllt. Nach Ansicht des Senats können aber auch Auswirkungen des Unfalltodes eines Angehörigen von Bedeutung sein, die die Familie zusätzlich belasten. So hatte die Klägerin vorgetragen, dass der Vater der Mittelpunkt der Familie und insbesondere die maßgebliche Respekts- und Bezugsperson für ihren autistischen Bruder gewesen sei. Der Tod des Vaters habe zur Folge gehabt, dass sie nunmehr neben ihrem Studium zwangsläufig in erheblichem Umfang in die Betreuung ihres Bruders mit eingespannt sei, der aufgrund des Todesfalls massive Verhaltensauffälligkeiten zeige, wobei ihr Bruder seiner Mutter und der Klägerin gegenüber aufbrausend und gewaltsam reagiere. Auch durch diesen Umstand werde die Klägerin tagtäglich mit dem plötzlichen Unfalltod ihres Vaters und der damit verbundenen Veränderung ihrer Lebenssituation konfrontiert. Der dadurch andauernde seelische Schmerz sei nahezu unerträglich. Dieses vom Senat unterstellte Vorbringen wird als erheblich für die Bemessung angesehen. Im Anschluss an Katzenmeier, JZ 2017, 869, 873, befand der Senat schließlich, dass das Hinterbliebenengeld die Lebensverhältnisse in Deutschland widerspiegeln, sich dabei aber nicht zugleich in ein Gesamtgefüge der europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens- und Hinterbliebenengeld einfügen müsse. Das ist aus rechtsvergleichender Sicht sicherlich richtig, da die Regeln in Europa keinesfalls einheitlich sind und auch teils abweichenden Zwecken folgen.

Im Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld ist auch noch einmal auf die bereits unter III. erwähnte Entscheidung des OLG Celle vom 24.8.2022 einzugehen. Auch in diesem Fall ging es wiederum weniger um die knappen Voraussetzungen des Anspruchs als vielmehr um dessen Höhe, die der deutsche Gesetzgeber, wie gesagt, anders als etwa der britische im Fatal Accidents Act 2011, in das Ermessen der Gerichte gestellt hat. Gewissermaßen im Vorgriff auf die Entscheidung des VI. Zivilsenats von Dezember 2022 legte sich der Celler Senat darauf fest, dass der in den Gesetzesmaterialien zu § 844 Abs. 3 BGB genannte, wie gesagt, nicht zwingende Betrag von € 10.000,00 keine Obergrenze darstelle, sondern lediglich eine Orientierungsgröße, welche die Gerichte als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen verwenden können, um von dort aus den Besonderheiten des Falls Rechnung zu tragen. Genau so verfährt das OLG Celle auch selbst. Es setzt bei einem Durchschnittsbetrag von € 10.000,00 an und erhöht diesen Betrag in einem zweiten Schritt wegen des besonders schmerzlichen Verlusts eines minderjährigen Kindes mit messbaren Krankheitsfolgen (Anpassungsstörung und leichte Depression) dann auf € 15.000,00.

V. Abzug „neu für alt“

Zumindest einen Seitenblick ist neue Rechtsprechung zu einem alten Problem des Schadensrechts wert: dem Abzug „neu für alt“. Als Ausformung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots soll dieser Grundsatz sicherstellen, dass der Geschädigte nicht über die Grenzen der Totalreparation hinaus entschädigt wird. Zu diesem Zweck muss er sich einen Abzug von seinem Ersatzanspruch gefallen lassen, wenn er durch die Naturalrestitution einen dauerhaften, messbaren Vorteil erlangt, der über die Totalreparation hinausgeht, und der Abzug keine unzumutbare Härte für ihn darstellt (so schon BGH, NJW 1959, 1078). Diese Grundsätze wendet auch das OLG Hamm in einer Entscheidung vom 28.6.2022 an. In vollkommen korrekter Anwendung des Kriteriums der „Messbarkeit“ befand es, dass rein optische Gebrauchsspuren an einem Kfz, welche die Funktionalität des Kfz nicht beeinträchtigen, namentlich Kratzspuren am Stoßfänger desselben, Abzug „neu für alt“ rechtfertigen (OLG Hamm v. 28.6.2022 – 7 U 45/21). Um solche „minimis“ kann sich der personalmangelgeplagte „praetor“ der deutschen Gerichtsbarkeit wirklich nicht kümmern.

VI. Ersatz entgangener Nutzung

Bei der Beschädigung einer Sache sollen entgangene Gebrauchsvorteile auf Grundlage einer älteren Entscheidung des Großen Senats des BGH nur dann als Vermögensschäden analog § 251 BGB ersatzfähig sein, wenn es sich um Wirtschaftsgüter von zentraler Bedeutung handelt, „auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist“ (BGH v. 9.7.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 216 f. (GS); ebenso BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 229/92, VersR 1994, 823 = NJW 1994, 442). Eine der Voraussetzungen dafür ist, dass der Verlust der Möglichkeit, die Sache zu nutzen, zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Geschädigten führt. Das setzt u.a. voraus, dass der Geschädigte potentiell den Willen und die Möglichkeit gehabt hat, den Gegenstand zu nutzen. Bei einem Kfz in Reparatur lehnt die Rechtsprechung traditionell einen potentiellen Nutzungswillen ab, wenn dem Geschädigten ein Zweitwagen zur Verfügung steht, der nicht anderweitig im Interesse des Geschädigten (z.B. von Familienangehörigen oder Angestellten) benötigt wird (BGH, NJW 1976, 286; OLG Jena, NJW-RR 2004, 1030, 1032; Grüneberg in Grüneberg, § 249 Rz. 42; kritisch Bitter, AcP 205 (2005), 743). Diesen Grundsatz hat der VI. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung vom 11.10.2022 für den Fall fortgeschrieben, dass dem Geschädigten ein Zweitwagen (BMW) verblieb, der ihm aber aus seiner Sicht weniger Prestige und ein schlechteres Fahrgefühl vermittelte als das in einer Garage widerrechtlich eingesperrte und daher nicht nutzbare Fahrzeug (Porsche) (BGH v. 11.10.2022 – VI ZR 35/22, VersR 2023, 118). Zurecht verwies der Senat diese entgangenen Nutzungsvorteile aus dem Kreis der „alltäglichen Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung“ ins Immaterielle und damit in die Unersetzbarkeit nach § 253 Abs. 1 BGB. Selbst wenn man die durchaus umstrittene Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH zum Ersatz entgangener Nutzungen beiseite ließe und mit einem Vorschlag aus dem Schrifttum (Brand, Schadensersatzrecht, 3. Aufl. 2021, § 6 Rz. 27) den Geschädigten für den Verlust seiner „Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten“ in Bezug auf die fragliche Sache entschädigen würde, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Die Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeiten ist dazu in dem entschiedenen Fall zu unwägbar.

VII. Naturalrestitution bei verletzten Tieren

Für den Schadensersatz bei der Verletzung von Tieren kennt das bürgerliche Schadensrecht eine Sonderregelung, was die Unverhältnismäßigkeit des Herstellungsaufwandes i.S.d. § 251 BGB anbelangt. Nach § 251 Abs. 2 S. 2 BGB, der das Staatsziel des Tierschutzes in Art. 20a GG widerspiegelt, können die Aufwendungen für eine Heilbehandlung eines Tieres, die tatsächlich durchgeführt worden ist (wie bei der Verletzung von Menschen kann Naturalrestitution bei Tierbehandlungen nicht im Wege fiktiven Kostenersatzes erfolgen; Brand in BeckOGK/BGB, § 251 BGB Rz. 57; Ekkenga/Kuntz in Soergel, § 251 BGB Rz. 24), auch dann ersatzfähig sein, wenn sie den Wert des Tieres erheblich übersteigen. Ob dies der Fall ist, ist von einer Interessenabwägung im Einzelfall abhängig. Eine solche hat das OLG Celle in einer Entscheidung vom 15.2.2023 (OLG Celle v. 15.2.2023 – 20 U 36/20, VersR 2023, 986) durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei hoher Restlebenserwartung, gutem Gesundheitszustand vor dem schädigenden Ereignis und einem hohen Affektionsinteresse des Eigentümers kraft Gewöhnung auch bei nur einem geringen wirtschaftlichen Wert des verletzten Tieres (€ 300,00) erhebliche Heilbehandlungskosten (€ 14.379,15) in vollem Umfang ersatzfähig sein können. Diese Entscheidung ist gerade auch in der Begründung eine mustergültige Subsumtion unter die Kriterien, welche das Schrifttum zu § 251 Abs. 2 S. 2 BGB herausgearbeitet hat und ist allein deswegen die Lektüre wert (zustimmend auch Biller-Bomhardt/Fecher, VersR 2023, 990 ff.). Zutreffend lässt sich der Entscheidung entnehmen, dass Behandlungskosten eines Tieres keiner fixen Obergrenze unterliegen. Hinzu kommt, dass sich in der Entscheidung überzeugende Ausführungen dazu finden, wann ein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB durch die spezifische Gefahr des eigenen Tieres vollständig hinter dem Verursachungsbeitrag eines anderen Tieres zurücktritt (dazu unten IX.)

VIII. Ersatz immaterieller Schäden nach § 253 Abs. 2 („Schmerzensgeld“)

1. Berücksichtigung des Schädigerverschuldens

Auf dem Gebiet des Schmerzensgeldes sind in den Jahren 2022 und 2023 eine Reihe „kleinerer“ Entscheidungen ergangen, die interessant sind, aber die Bahnen des Bekannten nicht verlassen. Das gilt etwa für eine Entscheidung des OLG Frankfurt, das im Anschluss an das Schrifttum den Grad des Verschuldens des Schädigers bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigen will (im Fall mindernd mangels vorsätzlichen Handelns) (OLG Frankfurt v. 20.12.2022 – 11 U 89/21, VersR 2023, 984). Das OLG Nürnberg hat auf dieser Grundlage ebenfalls im Einklang mit der ganz h.M. im Schrifttum und der Rechtsprechung ein überzeugendes und anschauliches Beispiel dafür gegeben, wann ein Schmerzensgeld bei geringfügigem Verschulden des Schädigers vollständig entfallen kann (OLG Nürnberg v. 10.3.2023 – 3 U 3080/22, VersR 2023, 668). Der Geschädigte war auf einer Treppe zu Fall gekommen, auf der ei ihm bekanntermaßen ausgelegtes Malervlies den Durchgang erschwerte. Aufgrund der Ortskenntnis des Geschädigten nahm das Gericht an, dass er sehenden Auges ein Risiko eingegangen sei, das sich im Nachgang verwirklicht habe. Dogmatisch zutreffend prüfte das Gericht den Entfall des Anspruchs auf Schmerzensgeld nicht etwa als Einwilligung, sondern, wie jedes andere Handeln auf eigene Gefahr, im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB. Dass das Gericht das Mitverschulden des Geschädigten als weit überwiegend wertete, ist gut nachvollziehbar.

Wichtiger für die Fortentwicklung des Schadensrechts als diese Einzelentscheidungen sind mehrere bedeutsame Entscheidungen, die der VI. Zivilsenat des BGH in den Jahren 2022 und 2023 zum Schmerzensgeld getroffen hat. Sie werden dessen Bemessung und das Schmerzensgeld für psychische Schäden maßgeblich beeinflussen.

2. Keine taggenaue Berechnung des „Schmerzensgeldes“

Das OLG Frankfurt (OLG Frankfurt v. 4.6.2020 – 22 U 244/19, VersR 2021, 127; Jaeger, Die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes – Versuche des 22. Zivilsenats des OLG Frankfurt, neue Wege bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu beschreiten, VersR 2021, 84) sprach sich für eine taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes aus, eine von der h.M. abweichende Methode, die der BGH nicht billigte. Seit jeher wird das Schmerzensgeld nicht berechnet, sondern bemessen, so dass der Versuch des OLG Frankfurt von vornherein scheitern musste (kritisch auch Schwepcke, VersR 2023, 294 ff. sowie Brand in BeckOGK/BGB, § 253 BGB Rz. 86). Aber auch die Begründung der Entscheidung, die maßgeblich auf die Veröffentlichung von Schwintowski/Scha Sedi/Scha Sedi (Handbuch Schmerzensgeld, taggenaue Schmerzensgeldbemessung, 2013.) gestützt wurde, war völlig misslungen und konnte einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Der BGH titulierte deshalb:

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falls, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. Diesen Grundsätzen wird die sogenannte „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes nicht gerecht.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

3. Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer

Nach diesen wahrlich beeindruckenden Entscheidungen des BGH gibt es noch eine weitere Entscheidung mit Signalwirkung: LG Köln v. 13.6.2023 – 5 O 197/22 (LG Köln v. 13.6.2023 – 5 O 197/22, VersR 2023, 1240). Geklagt hatte ein Missbrauchsopfer gegen das Erzbistum Köln. Der heute gerade im Ruhestand lebende, vormals beim Erzbistum Köln angestellte Theologe, nicht Priester, war als Messdiener im Alter von 12 – 19 Jahren insgesamt rd. 320 mal sexuell missbraucht worden. Bisher hatte er vom Erzbistum eine Zahlung in Höhe von 25.000 € erhalten. Mit der Klage strebte er ein Schmerzensgeld von weiteren 725.000 € an. Das LG Köln billigte ihm insgesamt 300.000 € zu, ein Betrag, der die massiven Dauerschäden des Klägers nicht ansatzweise berücksichtigte (Lothar Jaeger, Die Bemessung des Schmerzensgeldes nach sexuellem Missbrauch – Die Bewertung der Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts und der Dauerschäden Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des LG Köln v. 13.6.2023 – 5 O 197/22, VersR 2023, 1193). Signalwirkung kommt dieser Entscheidung zu, weil es das erste Urteil gegen ein Bistum ist, das einem Missbrauchsopfer ein nennenswertes Schmerzensgeld zubilligt.

IX. Schadensminderungsobliegenheit

1. Tiergefahr

Auf der Ebene der Schadensminderungsobliegenheit haben die Zivilgerichte jüngst eine Reihe bereits zuvor in der Rechtsprechung vertretene Positionen aufgegriffen und gestärkt. Das betrifft vor allem die Anrechnung der Tiergefahr im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB. So hat im Berichtszeitraum z.B. das OLG Hamm entschieden, dass einem Tierhalter ein Mitverschulden vorzuwerfen ist, wenn er bei dem Versuch verletzt wird, sich streitende oder beißende Hunde voneinander zu trennen (OLG Hamm v. 19.12.2022 – 7 U 54/22, VersR 2023, 1054, 1057; zuvor bereits OLG Karlsruhe v. 18.9.2019 – 7 U 24/19). Zudem hat das OLG Celle in einer Entscheidung vom 17.10.2022 zu Recht festgestellt, dass das Erschrecken eines Pferdes infolge eines überfliegenden Kampfflugzeugs ein typische Tiergefahr darstellt, die im Rahmen des § 254 BGB zu berücksichtigen ist (OLG Celle v. 17.10.2022 – 14 U 114/22, VersR 2023, 735 m. Anm. Biller-Bomhardt; dazu schon OLG Celle v. 20.1.2016 – 14 U 128/13, VersR 2017, 567). Weiterhin hat das OLG Celle in einer Entscheidung vom 15.2.2023 (OLG Celle v. 15.2.2023 – 20 U 36/20, VersR 2023, 986) mit überzeugender Begründung einen Fall behandelt, in dem es ein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB durch die spezifische Gefahr des eigenen Tieres vollständig hinter dem Verursachungsbeitrag eines anderen Tieres hat zurücktreten lassen: Ein Hund hatte ein Pferd angegriffen, dieses aber nicht gebissen, sondern lediglich über eine längere Strecke „gehetzt“, bis dieses schließlich stürzte und sich verletzte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Flucht sei für das Fluchttier Pferd wesenstypisch, so dass eine Anrechnung der Eigengefahr in Betracht käme. Indes dauerte die Verfolgung durch den Hund ungewöhnlich lange und über den Fluchtinstinkt des Pferdes hinaus an, so dass die Wertung des OLG Celle gerechtfertigt erscheint.

Die drei vorgenannten Entscheidungen zur Anrechnung der Tiergefahr im Rahmen des Mitverschuldens lenken den Blick auch auf eine interessante und dogmatisch sauber hergeleitete Entscheidung des OLG Frankfurt vom 18.1.2023 zur mittelbaren Schadensverursachung (OLG Frankfurt v. 18.1.2023 – 4 U 249/21, VersR 2023, 534 m. Anm. Ehmer/Schlehrath). Es befand, der Tierhalter müsse im Rahmen seiner Haftung nach § 833 S. 1 BGB auch dafür einstehen, wenn der Geschädigte sich bei einer Gefahr, die einem von ihm gehaltenen Tier durch eines des Tierhalters droht, zum helfenden Eingreifen genötigt sehe und dabei durch einen Sturz zu Schaden komme. Das ist zuvor im Schrifttum auch so vertretenen worden und entspricht vollkommen den Prinzipien des Haftungsrechts. Zwar kam die Geschädigte im entschiedenen Fall durch ein eigenverantwortliches Verhalten zu Schaden. Sie durfte sich aber zum Eingreifen herausgefordert fühlen, so dass die mittelbare Schädigung noch in den Schutzzweck der Norm fällt.

2. Haushaltsführungsschaden

Mit einer neuen Handreichung zum Dauerbrenner Haushaltsführungsschaden hat sich das OLG Saarbrücken mit einer Entscheidung vom 20.4.2023 bemerkbar gemacht, welche die Darlegung der haushaltsspezifischen Minderung der Erwerbsfähigkeit in Zukunft erleichtern dürfte (OLG Saarbrücken v. 20.4.2023 – 3 U 7/23).

Oft wird im Rahmen der Begründung der Höhe dieser Minderung der Erwerbsfähigkeit viel Mühe darauf verwendet, die einzelnen Haushaltstätigkeiten des Geschädigten vor und nach dem Unfall darzulegen – eine in Erstellung und Lektüre vielfach ermüdende Fleißarbeit. Das OLG Saarbrücken lädt dazu ein, sich insoweit künftig kürzer zu fassen: Es lässt es nämlich zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens genügen, wenn die erlittenen körperlichen Schäden ausführlich geschildert werden und sich hierdurch zugleich die Bewegungsbeeinträchtigungen klar ableiten lassen. Auf einer solchen Grundlage hält es das Gericht für möglich, im Rahmen der richterlichen Schätzung die haushaltsspezifische MdE abstrakt zu bestimmen. Im Fall lag diese bei 15 % und damit oberhalb der Geringfügigkeitsschwelle. Die Klägerin sei zwar im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht gehalten, den Ausfall ihrer Arbeitskraft in der Haushaltsführung durch Umorganisation oder Einsatz technischer Mittel zu kompensieren. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass ein anderes Haushaltsmitglied im stärkeren Umfang als bisher eingebunden werden muss. Da der Haushalt der Klägerin auch zuvor bereits mit den üblichen technischen Gerätschaften ausgestattet gewesen und der Einsatz weiterer technischer Mittel nicht möglich sei, könne im vorliegenden Fall auch nicht die Möglichkeit der vollständigen Schadenskompensation durch Umorganisation vermutet werden (sog. Geringfügigkeitsgrenze).

3. Unterbliebener Wiedereingliederungsversuch

In einer Entscheidung vom 24.1.2023 hat der VI. Zivilsenat des BGH Gelegenheit gehabt, sich mit der Frage einer Verletzung des Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 S. 1 BGB durch Unterlassen auseinanderzusetzen (BGH v. 24.1.2023 – VI ZR 152/21, VersR 2023, 1185 m. Anm. Drewes. Siehe auch Scholten, zfs 2023, 386). Der Sache nach ging es um eine Geschädigte, die bei einem Unfall derart schwere Gesundheitsschäden erlitt, dass sie ihren Arbeitsplatz verlor und auf dem Arbeitsmarkt von Seiten des Arbeitsamtes als nicht mehr vermittlungsfähig galt. Daraufhin erbrachte der Rentenversicherungsträger Leistungen, ohne sich seinerseits darum zu bemühen, eine Wiedereingliederung in den Beruf zu fördern. Der nach § 116, 119 SGB X in Regress genommene Haftpflichtversicherer wollte das als Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB gewertet wissen und war mit diesem Vorbringen noch in zweiter Instanz vor dem OLG Celle erfolgreich. Dem folgte der VI. Zivilsenat des BGH nicht und verwies die Sache zur Entscheidung zurück.

In seiner Begründung ging der VI. Zivilsenat des BGH zwar, wie das OLG Celle, davon aus, dass der Rentenversicherungsträger aufgrund eines von ihm eingeholten Privatgutachtens hätte zu dem Schluss gelangen können, dass eine (Teil-)Arbeitsfähigkeit der Geschädigten bestehen könnte. Anders als das OLG Celle nimmt der Senat indes an, der Rentenversicherungsträger habe sich trotzdem auf die Entscheidung einer „fachkundigen Stelle“ wie dem Arbeitsamt verlassen dürfen. Dessen Feststellung der Vermittlungsunfähigkeit sei so gewichtig, dass die betroffene Person davon habe ausgehen dürfen, Bemühungen um eine Wiedereinstellung seien zwecklos, und dass entsprechend auch der Rentenversicherungsträger sich nicht habe um eine Wiedereingliederung bemühen müssen. Diese Wertung ist zu Recht auf Kritik gestoßen, da sie auf einem kategoriellen Missverständnis beruht. Die Untätigkeit des Rentenversicherungsträgers bzgl. einer Wiedereingliederung geschädigter Personen begründet anerkanntermaßen ein Mitverschulden i.S.d. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Bei Arbeitsunfähigkeit der betroffenen Person erlischt die Obliegenheit naturgemäß. Nur hatte das Arbeitsamt im entschiedenen Fall gar keine Arbeitsunfähigkeit, sondern bloße Vermittlungsunfähigkeit i.S.d. § 138 Abs. 5 SGB III. Diese kann auch auf anderen Faktoren als der Arbeitsunfähigkeit beruhen, z.B. auf mangelndem Arbeitswillen. Der VI. Zivilsenat des BGH hätte es daher dem Rentenversicherungsträger nicht ohne Weiteres nachlassen dürfen, von der Vermittlungsunfähigkeit auf die Arbeitsunfähigkeit rückzuschließen, zumal ihm Indizien für eine Teil-)Arbeitsfähigkeit der Geschädigten vorlagen. Diese hätte zu einer Minderung des Regressanspruchs führen müssen.

Oliver Brand, Mannheim

Lothar Jaeger, Köln

Hinweis:

Zu diesem Report finden Sie eine Lernerfolgskontrolle online bis zum 30.6.2024 unter https://www.otto-schmidt.de/15fao