Allein die Meldung von Glatteisbildung verpflichtet eine Kommune nicht zum Winterdienst auf Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung. Das hat der 11. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Hagen abgeändert.
Die Ehefrau des Kl. fuhr im Januar 2013 mit dem Pkw des Kl. kurz nach 16.00 Uhr auf der H.-Straße in Lüdenscheid. Diese wenig befahrene und außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Straße schließt einige Häuser mit ca. 40 Bewohnern an das allgemeine Straßennetz an. Aufgrund bestehender Glatteisbildung verlor die Ehefrau des Kl. auf der bergab und kurvig verlaufenden Straße die Kontrolle über das Fahrzeug, das von der Fahrbahn abkam, sich überschlug und auf der Seite liegen blieb. Ca. ein bis zwei Stunden vor dem Unfall hatte eine Bürgerin beim zuständigen Straßenreinigungsamt der bekl. Stadt angerufen, die Glättebildung auf der Straße gemeldet und um Abhilfe gebeten. Auf der Straße hatte die Bekl. am Unfalltag, auch nach der genannten Meldung, keinen Winterdienst durchgeführt. Der Kl. meinte, die Bekl. habe mit dem unterlassenen Winterdienst die ihr von Amts wegen obliegende Räum- und Streupflicht verletzt. Von der Bekl. verlangte er deswegen ca. 11.300 Euro Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug.
Auf die Berufung der noch in erster Instanz zum Schadensersatz verurteilten Bekl. wies der 11. Zivilsenat des OLG Hamm die Klage ab. Dem Kl. stehe kein Schadensersatzanspruch zu, so der Senat. Die Bekl. habe ihre Amtspflichten nicht verletzt, indem sie am Schadenstag bis zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Winterdienst auf der H.-Straße durchgeführt habe.
Inhalt und Umfang der einer Kommune obliegenden winterlichen Räum- und Streupflicht richte sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges seien zu berücksichtigen, ebenso seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Ergebe sich hieraus eine Räum- und Streupflicht, stehe sie bei Kommunen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, so dass es auch auf ihre Leistungsfähigkeit ankomme. Zudem habe sich jeder Verkehrsteilnehmer gerade im Winter den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen.
Ausgehend hiervon sei schon im Bereich geschlossener Ortschaften anerkannt, dass eine Räum- und Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetze und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen. In einer derartigen Situation seien zunächst die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu bestreuen. Erst danach seien weniger bedeutende Straßen- und Wegestrecken zu sichern. Außerhalb geschlossener Ortslagen seien lediglich die für den Kfz-Verkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Auf wenig befahrenen Straßen bestehe deswegen grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht, sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt seien, auf die sich ein Straßenbenutzer nicht einstellen könne.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergebe sich im zu entscheidenden Fall keine Räum- und Streupflicht und damit keine Pflichtverletzung der bekl. Stadt.
Die H.-Straße befinde sich außerhalb geschlossener Ortschaften. Als wenig befahrene Straße, die nur wenige Häuser mit dem Straßennetz verbinde, fehle ihr die Verkehrswichtigkeit. Am Unfalltag habe es zudem lediglich an einzelnen Stellen Glatteisbildung gegeben. Aufgrund der untergeordneten Verkehrsbedeutung habe die Bekl. daher von einem Winterdienst auf der Straße – auch nach der gemeldeten Glatteisbildung – absehen dürfen.
Die Bekl. habe davon ausgehen dürfen, dass sich die Anwohner den winterlichen Verhältnissen anpassen und notfalls Schneeketten anlegen oder vom Befahren der Straße Abstand nehmen und zu Fuß gehen würden. Sehe man das anders, wäre die Bekl. in dem durch zahlreiche Höhenunterschiede geprägten Gemeindegebiet gehalten, eine Vielzahl von Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung abzustreuen. Dieser Aufwand sei ihr nicht zumutbar. Die Bekl. sei schließlich auch nicht gehalten gewesen, einen Winterdienst in der Weise vorzuhalten, dass dieser von Gemeindeangehörigen durch eine bloße Meldung von Glatteisbildung abgerufen werden könne, ohne dass es auf die genannten Kriterien zur Verkehrsbedeutung der gemeldeten Straße ankomme.
Aufgrund der am Unfalltag erfolgten Meldung habe die Bekl. zudem keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es einem aufmerksamen und vorsichtigen Benutzer der H.-Straße nicht mehr möglich sein würde, die Straße ohne Schaden zu nutzen und den Gefahrenstellen auszuweichen. Dass die getroffene Entscheidung der Bekl. vertretbar gewesen sei, werde auch dadurch gestützt, dass es einer anderen Anwohnerin vor und nach dem Unfall gelungen sei, die nicht abgestreute Straße unfallfrei zu befahren.
OLG Hamm, Urteil vom 18. 11. 2016 (11 U 17/16)